Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 344 |
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01 | mit noch so scharfsichtiger Ausspähungsgeschicklichkeit ausgeklaubt | ||||||
02 | sein. - Der Vorbehalt ( reservatio mentalis ) alter allererst künftig auszudenkender | ||||||
03 | Prätensionen, deren kein Theil für jetzt Erwähnung thun mag, | ||||||
04 | weil beide zu sehr erschöpft sind, den Krieg fortzusetzen, bei dem bösen | ||||||
05 | Willen, die erste günstige Gelegenheit zu diesem Zweck zu benutzen, gehört | ||||||
06 | zur Jesuitencasuistik und ist unter der Würde der Regenten, so | ||||||
07 | wie die Willfährigkeit zu dergleichen Deductionen unter der Würde eines | ||||||
08 | Ministers desselben, wenn man die Sache, wie sie an sich selbst ist, beurtheilt. | ||||||
10 | Wenn aber nach aufgeklärten Begriffen der Staatsklugheit in beständiger | ||||||
11 | Vergrößerung der Macht, durch welche Mittel es auch sei, die | ||||||
12 | wahre Ehre des Staats gesetzt wird, so fällt freilich jenes Urtheil als | ||||||
13 | schulmäßig und pedantisch in die Augen. | ||||||
14 | 2. "Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier | ||||||
15 | gleichviel) von einem andern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder | ||||||
16 | Schenkung erworben werden können." | ||||||
17 | Ein Staat ist nämlich nicht (wie etwa der Boden, auf dem er seinen | ||||||
18 | Sitz hat) eine Habe ( patrimonium ). Er ist eine Gesellschaft von Menschen, | ||||||
19 | über die Niemand anders, als er selbst zu gebieten und zu disponiren hat. | ||||||
20 | Ihn aber, der selbst als Stamm seine eigene Wurzel hatte, als Pfropfreis | ||||||
21 | einem andern Staate einzuverleiben, heißt seine Existenz als einer | ||||||
22 | moralischen Person aufheben und aus der letzteren eine Sache machen und | ||||||
23 | widerspricht also der Idee des ursprünglichen Vertrags, ohne die sich kein | ||||||
24 | Recht über ein Volk denken läßt*). In welche Gefahr das Vorurtheil dieser | ||||||
25 | Erwerbungsart Europa, denn die andern Welttheile haben nie davon gewußt, | ||||||
26 | in unsern bis auf die neuesten Zeiten gebracht habe, daß sich nämlich | ||||||
27 | auch Staaten einander heurathen könnten, ist jedermann bekannt, theils | ||||||
28 | als eine neue Art von Industrie, sich auch ohne Aufwand von Kräften | ||||||
29 | durch Familienbündnisse übermächtig zu machen, theils auch auf solche | ||||||
30 | Art den Länderbesitz zu erweitern. - Auch die Verdingung der Truppen | ||||||
31 | eines Staats an einen andern gegen einen nicht gemeinschaftlichen Feind | ||||||
32 | ist dahin zu zählen; denn die Unterthanen werden dabei als nach Belieben | ||||||
33 | zu handhabende Sachen gebraucht und verbraucht. | ||||||
*) Ein Erbreich ist nicht ein Staat, der von einem andern Staate, sondern dessen Recht zu regieren an eine andere physische Person vererbt werden kann. Der Staat erwirbt alsdann einen Regenten, nicht dieser als ein solcher (d. i. der schon ein anderes Reich besitzt) den Staat. | |||||||
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