Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 303

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wir sehen auch diese Theorie in der Praxis hinreichend bestätigt. In      
  02 der Verfassung von Großbritannien, wo das Volk mit seiner Constitution      
  03 so groß thut, als ob sie das Muster für alle Welt wäre, finden wir doch,      
  04 daß sie von der Befugniß, die dem Volk, im Fall der Monarch den Contract      
  05 von 1688 übertreten sollte, zusteht, ganz still schweigt; mithin sich      
  06 gegen ihn, wenn er sie verletzen wollte, weil kein Gesetz hierüber da ist,      
  07 ingeheim Rebellion vorbehält. Denn daß die Constitution auf diesen Fall      
  08 ein Gesetz enthalte, welches die subsistirende Verfassung, von der alle besondern      
  09 Gesetze ausgehen, (gesetzt auch der Contract sei verletzt) umzustürzen      
  10 berechtigte, ist ein klarer Widerspruch: weil sie alsdann auch eine      
  11 öffentlich constituirte*) Gegenmacht enthalten müßte, mithin noch      
  12 ein zweites Staatsoberhaupt, welches die Volksrechte gegen das erstere      
  13 beschützte, sein müßte, dann aber auch ein drittes, welches zwischen Beiden,      
  14 auf wessen Seite das Recht sei, entschiede. - Auch haben jene Volksleiter      
  15 (oder, wenn man will, Vormünder), besorgt wegen einer solchen Anklage,      
  16 wenn ihr Unternehmen etwa fehl schlüge, dem von ihnen weggeschreckten      
  17 Monarchen lieber eine freiwillige Verlassung der Regierung angedichtet,      
  18 als sich das Recht der Absetzung desselben angemaßt, wodurch sie die Verfassung      
  19 in offenbaren Widerspruch mit sich selbst würden versetzt haben.      
           
  20 Wenn man mir nun bei diesen meinen Behauptungen den Vorwurf      
  21 gewiß nicht machen wird, daß ich durch diese Unverletzbarkeit den Monarchen      
  22 zu viel schmeichele: so wird man mir hoffentlich auch denjenigen ersparen,      
  23 daß ich dem Volk zu Gunsten zu viel behaupte, wenn ich sage, daß dieses      
  24 gleichfalls seine unverlierbaren Rechte gegen das Staatsoberhaupt habe,      
  25 obgleich diese keine Zwangsrechte sein können.      
           
  26 Hobbes ist der entgegengesetzten Meinung. Nach ihm ( de Cive ,      
  27 cap. 7, § 14) ist das Staatsoberhaupt durch Vertrag dem Volk zu      
  28 nichts verbunden und kann dem Bürger nicht Unrecht thun (er mag      
  29 über ihn verfügen, was er wolle). - Dieser Satz würde ganz richtig      
  30 sein, wenn man unter Unrecht diejenige Läsion versteht, welche dem      
           
    *) Kein Recht im Staate kann durch einen geheimen Vorbehalt gleichsam heimtückisch verschwiegen werden; am wenigsten das Recht, welches sich das Volk als ein zur Constitution gehöriges anmaßt: weil alle Gesetze derselben als aus einem öffentlichen Willen entsprungen gedacht werden müssen. Es müßte also, wenn die Constitution Aufstand erlaubte, diese das Recht dazu, und auf welche Art davon Gebrauch zu machen sei, öffentlich erklären.      
           
     

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