Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 292

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 und an Rechten überhaupt (deren es viele geben kann) respectiv auf      
  02 Andere; so daß des Einen Wohlfahrt sehr vom Willen des Anderen abhängt      
  03 (des Armen vom Reichen), daß der Eine gehorsamen muß (wie das      
  04 Kind den Ältern, oder das Weib dem Mann) und der Andere ihm befiehlt,      
  05 daß der Eine dient (als Taglöhner), der Andere lohnt, etc. Aber dem dem      
  06 Rechte nach (welches als der Ausspruch des allgemeinen Willens nur      
  07 ein einziges sein kann, und welches die Form Rechtens, nicht die Materie      
  08 oder das Object, worin ich ein Recht habe, betrifft) sind sie dennoch als      
  09 Unterthanen alle einander gleich: weil keiner irgend jemanden anders      
  10 zwingen kann, als durch das öffentliche Gesetz (und den Vollzieher desselben,      
  11 das Staatsoberhaupt), durch dieses aber auch jeder andere ihm in gleicher      
  12 Maße widersteht, niemand aber diese Befugniß zu zwingen (mithin ein      
  13 Recht gegen andere zu haben) anders als durch sein eigenes Verbrechen      
  14 verlieren und es auch von selbst nicht aufgeben, d. i. durch einen Vertrag,      
  15 mithin durch eine rechtliche Handlung machen kann, daß er keine      
  16 Rechte, sondern bloß Pflichten habe: weil er dadurch sich selbst des Rechts      
  17 einen Contract zu machen berauben, mithin dieser sich selbst aufheben      
  18 würde.      
           
  19 Aus dieser Idee der Gleichheit der Menschen im gemeinen Wesen als      
  20 Unterthanen geht nun auch die Formel hervor: Jedes Glied desselben      
  21 muß zu jeder Stufe eines Standes in demselben (die einem Unterthan      
  22 zukommen kann) gelangen dürfen, wozu ihn sein Talent, sein Fleiß und      
  23 sein Glück hinbringen können; und es dürfen ihm seine Mitunterthanen      
  24 durch ein erbliches Prärogativ (als Privilegiaten für einen gewissen      
  25 Stand) nicht im Wege stehen, um ihn und seine Nachkommen unter demselben      
  26 ewig niederzuhalten.      
           
  27 Denn da alles Recht bloß in der Einschränkung der Freiheit jedes      
  28 Anderen auf die Bedingung besteht, daß sie mit der meinigen nach einem      
  29 allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, und das öffentliche Recht      
  30 (in einem gemeinen Wesen) bloß der Zustand einer wirklichen, diesem      
  31 Princip gemäßen und mit Macht verbundenen Gesetzgebung ist, vermöge      
  32 welcher sich alle zu einem Volk Gehörige als Unterthanen in einem rechtlichen      
  33 Zustand ( status iuridicus ) überhaupt, nämlich der Gleichheit der      
  34 Wirkung und Gegenwirkung einer dem allgemeinen Freiheitsgesetze gemäß      
  35 einander einschränkenden Willkür, (welches der bürgerliche Zustand heißt)      
  36 befinden: so ist das angeborne Recht eines jeden in diesem Zustande,      
  37 (d. i. vor aller rechtlichen That desselben) in Ansehung der Befugniß jeden      
           
     

[ Seite 291 ] [ Seite 293 ] [ Inhaltsverzeichnis ]