Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 278

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Zeiten begriffen ist) vorstellig machen. - Die Betitelung der Nummern      
  02 aber wird aus Gründen, die sich aus der Abhandlung selbst ergeben,      
  03 durch das Verhältniß der Theorie zur Praxis in der Moral, dem      
  04 Staatsrecht und dem Völkerrecht ausgedrückt werden.      
           
  05

I

     
  06

Von dem Verhältniß der Theorie zur Praxis in der Moral überhaupt.

     
  07

(Zur Beantwortung einiger Einwürfe des Hrn. Prof. Garve*).

     
           
  08 Ehe ich zu dem eigentlichen Streitpunkte über das, was im Gebrauche      
  09 eines und desselben Begriffs bloß für die Theorie, oder für die Praxis      
  10 gültig sein mag, komme: muß ich meine Theorie, so wie ich sie anderwärts      
  11 vorgestellt habe, mit der Vorstellung zusammen halten, welche Herr Garve      
  12 davon giebt, um vorher zu sehen, ob wir uns einander auch verstehen.      
           
  13 A. Ich hatte die Moral vorläufig als zur Einleitung für eine Wissenschaft      
  14 erklärt, die da lehrt, nicht wie wir glücklich, sondern der Glückseligkeit      
  15 würdig werden sollen**). Hiebei hatte ich nicht verabsäumt anzumerken,      
  16 daß dadurch dem Menschen nicht angesonnen werde, er solle, wenn      
  17 es auf Pflichtbefolgung ankommt, seinem natürlichen Zwecke, der Glückseligkeit,      
  18 entsagen; denn das kann er nicht, so wie kein endliches vernünftiges      
  19 Wesen überhaupt; sondern er müsse, wenn das Gebot der Pflicht      
  20 eintritt, gänzlich von dieser Rücksicht abstrahiren; er müsse sie durchaus      
  21 nicht zur Bedingung der Befolgung des ihm durch die Vernunft vorgeschriebenen      
           
    *) Versuche über verschiedne Gegenstände aus der Moral und Literatur, von Ch. Garve. Erster Theil, S. 111 bis 116. Ich nenne die Bestreitung meiner Sätze Einwürfe dieses würdigen Mannes gegen das, worüber er sich mit mir (wie ich hoffe) einzuverstehen wünscht; nicht Angriffe, die als absprechende Behauptungen zur Vertheidigung reizen sollten: wozu weder hier der Ort, noch bei mir die Neigung ist.      
           
    **) Die Würdigkeit glücklich zu sein ist diejenige auf dem selbst eigenen Willen des Subjects beruhende Qualität einer Person, in Gemäßheit mit welcher eine allgemeine (der Natur sowohl als dem freien Willen) gesetzgebende Vernunft zu allen Zwecken dieser Person zusammenstimmen würde. Sie ist also von der Geschicklichkeit sich ein Glück zu erwerben gänzlich unterschieden. Denn selbst dieser und des Talents, welches ihm die Natur dazu verliehen hat, ist er nicht werth, wenn er einen Willen hat, der mit dem, welcher allein sich zu einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft schickt, nicht zusammen stimmt und darin nicht mit enthalten sein kann (d. i. welcher der Moralität widerstreitet).      
           
     

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