Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 257

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Schmerz). - Nun giebt es aber noch eine Zweckmäßigkeit in dem Verhältniß      
  02 der Übel zu dem moralischen Bösen, wenn das letztere einmal da      
  03 ist und nicht verhindert werden konnte oder sollte: nämlich in der Verbindung      
  04 der Übel und Schmerzen als Strafen mit dem Bösen als Verbrechen;      
  05 und von dieser Zweckmäßigkeit in der Welt fragt es sich, ob jedem      
  06 in der Welt hierin sein Recht widerfährt. Folglich muß auch noch eine      
           
  07 3te Art des Zweckwidrigen in der Welt gedacht werden können,      
  08 nämlich das Mißverhältniß der Verbrechen und Strafen in der Welt.      
           
  09 Die Eigenschaften der höchsten Weisheit des Welturhebers, wogegen      
  10 jene Zweckwidrigkeiten als Einwürfe auftreten, sind also auch drei:      
           
  11 Erstlich die Heiligkeit desselben als Gesetzgebers (Schöpfers)      
  12 im Gegensatze mit dem Moralisch=Bösen in der Welt.      
           
  13 Zweitens die Gütigkeit desselben als Regierers (Erhalters) im      
  14 Contraste mit den zahllosen Übeln und Schmerzen der vernünftigen      
  15 Weltwesen.      
           
  16 Drittens die Gerechtigkeit desselben als Richters in Vergleichung      
  17 mit dem Übelstande, den das Mißverhältniß zwischen der Straflosigkeit      
  18 der Lasterhaften und ihren Verbrechen in der Welt zu zeigen scheint*).      
           
           
    *) Diese drei Eigenschaften zusammen, deren eine sich keineswegs auf die andre, wie etwa die Gerechtigkeit auf Güte, und so das Ganze auf eine kleinere Zahl zurückführen läßt, machen den moralischen Begriff von Gott aus. Es läßt sich auch die Ordnung derselben nicht verändern (wie etwa die Gütigkeit zur obersten Bedingung der Weltschöpfung machen, der die Heiligkeit der Gesetzgebung untergeordnet sei), ohne der Religion Abbruch zu thun, welcher eben dieser moralische Begriff zum Grunde liegt. Unsre eigene reine (und zwar praktische) Vernunft bestimmt diese Rangordnung, indem, wenn sogar die Gesetzgebung sich nach der Güte bequemt, es keine Würde derselben und keinen festen Begriff von Pflichten mehr giebt. Der Mensch wünscht zwar zuerst glücklich zu sein; sieht aber doch ein und bescheidet sich (obzwar ungern), daß die Würdigkeit glücklich zu sein, d. i. die Übereinstimmung des Gebrauchs seiner Freiheit mit dem heiligen Gesetze, in dem Rathschluß des Urhebers die Bedingung seiner Gütigkeit sein und also nothwendig vorhergehen müsse. Denn der Wunsch, welcher den subjectiven Zweck (der Selbstliebe) zum Grunde hat, kann nicht den objectiven Zweck (der Weisheit), den das Gesetz vorschreibt, bestimmen, welches dem Willen unbedingt die Regel giebt. Auch ist die Strafe in der Ausübung der Gerechtigkeit keineswegs als bloßes Mittel, sondern als Zweck in der gesetzgebenden Weisheit gegründet: die Übertretung wird mit Übeln verbunden, nicht damit ein anderes Gute herauskomme, sondern weil diese Verbindung an sich selbst, d. i. moralisch nothwendig und gut ist. Die Gerechtigkeit setzt zwar Güte des Gesetzgebers voraus (denn wenn sein [Seitenumbruch] Willen nicht auf das Wohl seiner Unterthanen ginge, so würde dieser sie auch nicht verpflichten können ihm zu gehorchen); aber sie ist nicht Güte, sondern als Gerechtigkeit von dieser wesentlich unterschieden, obgleich im allgemeinen Begriffe der Weisheit enthalten. Daher geht auch die Klage über den Mangel einer Gerechtigkeit, die sich im Loose, welches den Menschen hier in der Welt zu Theil wird, zeige, nicht darauf, daß es den Guten hier nicht wohl, sondern daß es den Bösen nicht übel geht (obzwar, wenn das erstere zu dem letztern hinzu kommt, der Contrast diesen Anstoß noch vergrößert). Denn in einer göttlichen Regierung kann auch der beste Mensch seinen Wunsch zum Wohlergehen nicht auf die göttliche Gerechtigkeit, sondern muß ihn jederzeit auf seine Güte gründen: weil der, welcher bloß seine Schuldigkeit thut, keinen Rechtsanspruch auf das Wohlthun Gottes haben kann.      
           
     

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