Kant: AA VIII, Über eine Entdeckung, nach ... , Seite 226

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
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Zweiter Abschnitt.

     
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Die Auflösung der Aufgabe:

     
  03

Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?

     
  04

nach Herrn Eberhard.

     
           
  05 Diese Aufgabe, in ihrer Allgemeinheit betrachtet, ist der Stein des      
  06 Anstoßes, woran alle metaphysische Dogmatiker unvermeidlich scheitern      
  07 müssen, um den sie daher so weit herumgehen, als es nur möglich ist: wie      
  08 ich denn noch keinen Gegner der Kritik gefunden habe, der sich mit der      
  09 Auflösung derselben, die für alle Fälle geltend wäre, befaßt hätte. Herr      
  10 Eberhard, auf seinen Satz des Widerspruchs und den des zureichenden      
  11 Grundes (den er doch nur als einen analytischen vorträgt) gestützt, wagt      
  12 sich an diese Unternehmung; mit welchem Glück, werden wir bald sehen.      
  13 Herr Eberhard hat, wie es scheint, von dem, was die Kritik Dogmatism      
  14 nennt, keinen deutlichen Begriff. So spricht er S. 262 von apodiktischen      
  15 Beweisen, die er geführt haben will, und setzt hinzu: "Wenn der      
  16 ein Dogmatiker ist, der mit Gewißheit Dinge an sich annimmt, so müssen      
  17 wir uns, es koste, was es wolle, dem Schimpf unterwerfen Dogmatiker zu      
  18 heißen", und dann sagt er S. 289, "daß die Leibnizische Philosophie      
  19 eben so wohl eine Vernunftkritik enthalte, als die Kantische; denn sie      
  20 gründe ihren Dogmatism auf eine genaue Zergliederung der Erkenntnißvermögen,      
  21 was durch ein jedes möglich sei". Nun - wenn sie dieses      
  22 wirklich thut, so enthält sie ja keinen Dogmatism in dem Sinne, worin      
  23 unsere Kritik dieses Wort jederzeit nimmt.      
  24 Unter dem Dogmatism der Metaphysik versteht diese nämlich: das      
  25 allgemeine Zutrauen zu ihren Principien ohne vorhergehende Kritik des      
  26 Vernunftvermögens selbst blos um ihres Gelingens willen: unter dem      
  27 Scepticism aber das ohne vorhergegangene Kritik gegen die reine Vernunft      
  28 gefaßte allgemeine Mißtrauen blos um des Mißlingens ihrer      
  29 Behauptungen willen*). Der Kriticism des Verfahrens mit allem, was      
           
    *) Das Gelingen im Gebrauche der Principien a priori ist die durchgängige Bestätigung derselben in ihrer Anwendung auf Erfahrung; denn da schenkt man [Seitenumbruch] non liquet dazwischen zu legen gar wohl berechtigt ist. Nur wenn der Beweis auf dem Wege geführt worden, wo eine zur Reife gekommene Kritik vorher die Möglichkeit der Erkenntniß a priori und ihre allgemeine Bedingungen sicher angezeigt hat, kann sich der Metaphysiker vom Dogmatism, der bei allen Beweisen ohne jene doch immer blind ist, rechtfertigen, und der Kanon der Kritik für diese Art der Beurtheilung ist in der allgemeinen Auflösung der Aufgabe enthalten: wie ist ein synthetisches Erkenntniß a priori möglich? Ist diese Aufgabe vorher noch nicht aufgelöset gewesen, so waren alle Metaphysiker bis auf beinahe dem Dogmatiker seinen Beweis a priori. Das Mißlingen aber mit demselben, welches den Scepticism veranlaßt, findet nur in den Fällen statt, wo lediglich Beweise a priori verlangt werden können, weil die Erfahrung hierüber nichts bestätigen oder widerlegen kann, und besteht darin, daß Beweise a priori von gleicher Stärke, die gerade das Gegentheil darthun, in der allgemeinen Menschenvernunft enthalten sind. Die erstern sind auch nur Grundsätze der Möglichkeit der Erfahrung und in der Analytik enthalten. Weil sie aber, wenn die Kritik sie nicht vorher als solche wohl gesichert hat, leicht für Grundsätze, welche weiter als blos für Gegenstände der Erfahrung gelten, gehalten werden, so entspringt ein Dogmatism in Ansehung des Übersinnlichen. Die zweiten gehen auf Gegenstände, nicht wie jene durch Verstandesbegriffe, sondern durch Ideen, die nie in der Erfahrung gegeben werden können. Weil sich nun die Beweise, dazu die Principien lediglich für Erfahrungsgegenstände gedacht worden, in solchem Falle nothwendig widersprechen müssen: so muß, wenn man die Kritik vorbeigeht, welche die Grenzscheidung allein bestimmen kann, nicht allein ein Scepticism in Ansehung alles dessen, was durch bloße Ideen der Vernunft gedacht wird, sondern endlich ein Verdacht gegen alle Erkenntniß a priori entspringen, welcher denn zuletzt die allgemeine metaphysische Zweifellehre herbeiführt.      
           
     

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