Kant: AA VIII, Was heißt: Sich im Denken ... , Seite 140

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Princip der Vernunft, ein Grundsatz der Einsichten, sondern ein      
  02 bloß subjectives (d. i. eine Maxime) des ihr durch ihre Schranken allein      
  03 erlaubten Gebrauchs, ein Folgesatz des Bedürfnisses, ist und für sich      
  04 allein den ganzen Bestimmungsgrund unsers Urtheils über das Dasein des      
  05 höchsten Wesens ausmacht, von dem es nur ein zufälliger Gebrauch ist      
  06 sich in den speculativen Versuchen über denselben Gegenstand zu orientiren:      
  07 so fehlte er hierin allerdings, daß er dieser Speculation dennoch so viel      
  08 Vermögen zutraute, für sich allein auf dem Wege der Demonstration alles      
  09 auszurichten. Die Nothwendigkeit des ersteren Mittels konnte nur Statt      
  10 finden, wenn die Unzulänglichkeit des letzteren völlig zugestanden war:      
  11 ein Geständniß, zu welchem ihn seine Scharfsinnigkeit doch zuletzt würde      
  12 gebracht haben, wenn mit einer längeren Lebensdauer ihm auch die den      
  13 Jugendjahren mehr eigene Gewandtheit des Geistes, alte, gewohnte      
  14 Denkungsart nach Veränderung des Zustandes der Wissenschaften leicht      
  15 umzuändern, wäre vergönnt gewesen. Indessen bleibt ihm doch das Verdienst,      
  16 daß er darauf bestand: den letzten Probirstein der Zulässigkeit      
  17 eines Urtheils hier wie allerwärts nirgend, als allein in der Vernunft      
  18 zu suchen, sie mochte nun durch Einsicht oder bloßes Bedürfniß      
  19 und die Maxime ihrer eigenen Zuträglichkeit in der Wahl ihrer Sätze geleitet      
  20 werden. Er nannte die Vernunft in ihrem letzteren Gebrauche die      
  21 gemeine Menschenvernunft; denn dieser ist ihr eigenes Interesse jederzeit      
  22 zuerst vor Augen, indeß man aus dem natürlichen Geleise schon muß getreten      
  23 sein, um jenes zu vergessen und müßig unter Begriffen in objectiver Rücksicht      
  24 zu spähen, um bloß sein Wissen, es mag nöthig sein oder nicht, zu erweitern.      
           
  25 Da aber der Ausdruck: Ausspruch der gesunden Vernunft,      
  26 in vorliegender Frage immer noch zweideutig ist und entweder, wie ihn      
  27 selbst Mendelssohn mißverstand, für ein Urtheil aus Vernunfteinsicht,      
  28 oder, wie ihn der Verfasser der Resultate zu nehmen scheint, ein Urtheil      
  29 aus Vernunfteingebung genommen werden kann: so wird nöthig      
  30 sein, dieser Quelle der Beurtheilung eine andere Benennung zu geben,      
  31 und keine ist ihr angemessener, als die eines Vernunftglaubens.      
  32 Ein jeder Glaube, selbst der historische muß zwar vernünftig sein (denn      
  33 der letzte Probirstein der Wahrheit ist immer die Vernunft); allein ein      
           
    moralischen Gefühl bewandt, welches kein moralisches Gesetz verursacht, denn dieses entspringt gänzlich aus der Vernunft; sondern durch moralische Gesetze, mithin durch die Vernunft verursacht oder gewirkt wird, indem der rege und doch freie Wille bestimmter Gründe bedarf.      
           
     

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