Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 483 |
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01 | geschehe. Die Schändlichkeit, nicht die Schädlichkeit | ||||||
02 | des Lasters (für den Thäter selbst) muß überall hervorstechend dargestellt | ||||||
03 | werden. Denn wenn die Würde der Tugend in Handlungen | ||||||
04 | nicht über Alles erhoben wird, so verschwindet der Pflichtbegriff selbst | ||||||
05 | und zerrinnt in bloße pragmatische Vorschriften; da dann der Adel | ||||||
06 | des Menschen in seinem eigenen Bewußtsein verschwindet und er für | ||||||
07 | einen Preis feil und zu Kauf steht, den ihm verführerische Neigungen | ||||||
08 | anbieten. | ||||||
09 | Wenn dieses nun weislich und pünktlich nach Verschiedenheit | ||||||
10 | der Stufen des Alters, des Geschlechts und des Standes, die der | ||||||
11 | Mensch nach und nach betritt, aus der eigenen Vernunft des Menschen | ||||||
12 | entwickelt worden, so ist noch etwas, was den Beschluß machen | ||||||
13 | muß, was die Seele inniglich bewegt und den Menschen auf eine | ||||||
14 | Stelle setzt, wo er sich selbst nicht anders als mit der größten Bewunderung | ||||||
15 | der ihm beiwohnenden ursprünglichen Anlagen betrachten | ||||||
16 | kann, und wovon der Eindruck nie erlischt. - Wenn ihm nämlich beim | ||||||
17 | Schlusse seiner Unterweisung seine Pflichten in ihrer Ordnung noch | ||||||
18 | einmal summarisch vorerzählt (recapituliert), wenn er bei jeder derselben | ||||||
19 | darauf aufmerksam gemacht wird, daß alle Übel, Drangsale | ||||||
20 | und Leiden des Lebens, selbst Bedrohung mit dem Tode, die ihn darüber, | ||||||
21 | daß er seiner Pflicht treu gehorcht, treffen mögen, ihm doch das | ||||||
22 | Bewußtsein, über sie alle erhoben und Meister zu sein, nicht rauben | ||||||
23 | können, so liegt ihm nun die Frage ganz nahe: was ist das in dir, | ||||||
24 | was sich getrauen darf, mit allen Kräften der Natur in dir und um | ||||||
25 | dich in Kampf zu treten und sie, wenn sie mit deinen sittlichen Grundsätzen | ||||||
26 | in Streit kommen, zu besiegen? Wenn diese Frage, deren | ||||||
27 | Auflösung das Vermögen der speculativen Vernunft gänzlich übersteigt | ||||||
28 | und die sich dennoch von selbst einstellt, ans Herz gelegt wird, | ||||||
29 | so muß selbst die Unbegreiflichkeit in diesem Selbsterkenntnisse der | ||||||
30 | Seele eine Erhebung geben, die sie zum Heilighalten ihrer Pflicht | ||||||
31 | nur desto stärker belebt, je mehr sie angefochten wird. | ||||||
32 | In dieser katechetischen Moralunterweisung würde es zur sittlichen | ||||||
33 | Bildung von großem Nutzen sein, bei jeder Pflichtzergliederung | ||||||
34 | einige casuistische Fragen aufzuwerfen und die versammelten Kinder | ||||||
35 | ihren Verstand versuchen zu lassen, wie ein jeder von ihnen die ihm | ||||||
36 | vorgelegte verfängliche Aufgabe aufzulösen meinte. - Nicht allein daß | ||||||
37 | dieses eine der Fähigkeit des Ungebildeten am meisten angemessene | ||||||
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