Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 451

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gegen Menschen ist ein Verhältniß derselben in der Vorstellung      
  02 der reinen Vernunft, d. i. der freien Handlungen nach Maximen, welche      
  03 sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualificiren, die also nicht selbstsüchtig      
  04 ( ex solipsismo prodeuntes ) sein können. Ich will jedes Anderen Wohlwollen      
  05 ( benevolentiam ) gegen mich; ich soll also auch gegen jeden Anderen      
  06 wohlwollend sein. Da aber alle Anderen außer mir nicht Alle sein, mithin      
  07 die Maxime nicht die Allgemeinheit eines Gesetzes an sich haben würde,      
  08 welche doch zur Verpflichtung nothwendig ist: so wird das Pflichtgesetz des      
  09 Wohlwollens mich als Object desselben im Gebot der praktischen Vernunft      
  10 mit begreifen: nicht als ob ich dadurch verbunden würde, mich selbst zu      
  11 lieben (denn das geschieht ohne das unvermeidlich, und dazu giebts also      
  12 keine Verpflichtung), sondern die gesetzgebende Vernunft, welche in ihrer      
  13 Idee der Menschheit überhaupt die ganze Gattung (mich also mit) einschließt,      
  14 nicht der Mensch, schließt als allgemeingesetzgebend mich in der      
  15 Pflicht des wechselseitigen Wohlwollens nach dem Princip der Gleichheit      
  16 wie alle Andere neben mir mit ein und erlaubt es dir dir selbst wohlzuwollen,      
  17 unter der Bedingung, daß du auch jedem Anderen wohl willst:      
  18 weil so allein deine Maxime (des Wohlthuns) sich zu einer allgemeinen      
  19 Gesetzgebung qualificirt, als worauf alles Pflichtgesetz gegründet ist.      
           
  20
§ 28.
     
           
  21 Das Wohlwollen in der allgemeinen Menschenliebe ist nun zwar dem      
  22 Umfange nach das größte, dem Grade nach aber das kleinste, und wenn      
  23 ich sage: ich nehme an dem Wohl dieses Menschen nur nach der allgemeinen      
  24 Menschenliebe Antheil, so ist das Interesse, was ich hier nehme, das      
  25 kleinste, was nur sein kann. Ich bin in Ansehung desselben nur nicht      
  26 gleichgültig.      
           
  27 Aber Einer ist mir doch näher als der Andere, und ich bin im Wohlwollen      
  28 mir selbst der Nächste. Wie stimmt das nun mit der Formel:      
  29 Liebe deinen Nächsten (deinen Mitmenschen) als dich selbst? Wenn      
  30 einer mir näher ist (in der Pflicht des Wohlwollens) als der Andere, ich      
  31 also zum größeren Wohlwollen gegen Einen als gegen den Anderen verbunden,      
  32 mir selber aber geständlich näher (selbst der Pflicht nach) bin, als      
  33 jeder Andere, so kann ich, wie es scheint, ohne mir selbst zu widersprechen,      
  34 nicht sagen: ich soll jeden Menschen lieben wie mich selbst; denn der Maßstab      
  35 der Selbstliebe würde keinen Unterschied in Graden zulassen. - Man      
           
     

[ Seite 450 ] [ Seite 452 ] [ Inhaltsverzeichnis ]