Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 411

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Anmerkung.
     
           
  02 Wie komme ich aber dazu, wird man fragen, die Eintheilung      
  03 der Ethik in Elementarlehre und Methodenlehre einzuführen:      
  04 da ich ihrer doch in der Rechtslehre überhoben sein konnte? - Die      
  05 Ursache ist: weil jene es mit weiten, diese aber mit lauter engen      
  06 Pflichten zu thun hat; weshalb die letztere, welche ihrer Natur nach      
  07 strenge (präcis) bestimmend sein muß, eben so wenig wie die reine      
  08 Mathematik einer allgemeinen Vorschrift (Methode), wie im Urtheilen      
  09 verfahren werden soll, bedarf, sondern sie durch die That wahr macht.      
  10 Die Ethik hingegen führt wegen des Spielraums, den sie ihren      
  11 unvollkommenen Pflichten verstattet, unvermeidlich dahin, zu Fragen,      
  12 welche die Urtheilskraft auffordern auszumachen, wie eine Maxime      
  13 in besonderen Fällen anzuwenden sei und zwar so: daß diese wiederum      
  14 eine (untergeordnete) Maxime an die Hand gebe (wo immer      
  15 wiederum nach einem Princip der Anwendung dieser auf vorkommende      
  16 Fälle gefragt werden kann); und so geräth sie in eine Casuistik,      
  17 von welcher die Rechtslehre nichts weiß.      
           
  18 Die Casuistik ist also weder eine Wissenschaft, noch ein      
  19 Theil derselben; denn das wäre Dogmatik und ist nicht sowohl Lehre,      
  20 wie etwas gefunden, sondern Übung, wie die Wahrheit soll gesucht      
  21 werden; fragmentarisch also, nicht systematisch (wie die      
  22 erstere sein mußte) in sie verwebt, nur gleich den Scholien zum      
  23 System hinzu gethan.      
           
  24 Dagegen: nicht sowohl die Urtheilskraft, als vielmehr die Vernunft      
  25 und zwar in der Theorie seiner Pflichten sowohl als in der      
  26 Praxis zu üben, das gehört besonders zur Ethik, als Methodenlehre      
  27 der moralisch=praktischen Vernunft; wovon die erstere Übung      
  28 darin besteht, dem Lehrling dasjenige von Pflichtbegriffen abzufragen,      
  29 was er schon weiß, und die erotematische Methode genannt      
  30 werden kann, und dies zwar entweder weil man es ihm schon      
  31 gesagt hat, blos aus seinem Gedächtniß, welche die eigentliche katechetische,      
  32 oder, weil man voraus setzt, daß es schon in seiner Vernunft      
  33 natürlicherweise enthalten sei und es nur daraus entwickelt zu      
  34 werden brauche, die dialogische (Sokratische) Methode heißt.      
           
  35 Der Katechetik als theoretischer Übung entspricht als Gegenstück      
  36 im Praktischen die Ascetik, welche derjenige Theil der Methodenlehre      
           
     

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