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Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 320 |
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Text (Kant): |
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01 |
des Widerstandes gegen die Anmaßung der Regierung, dessen öffentliche |
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Ankündigung ohnedem eine dazu schon vorbereitete Einhelligkeit im Volk |
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bedarf, die aber im Frieden nicht erlaubt sein kann) vielmehr immer |
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bereit sind, sich selbst der Regierung in die Hände zu spielen. - Also ist |
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die sogenannte gemäßigte Staatsverfassung, als Constitution des innern |
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Rechts des Staats, ein Unding und, anstatt zum Recht zu gehören, nur |
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ein Klugheitsprincip, um so viel als möglich dem mächtigen Übertreter |
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der Volksrechte seine willkürliche Einflüsse auf die Regierung nicht zu erschweren, |
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sondern unter dem Schein einer dem Volk verstatteten Opposition |
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zu bemänteln. |
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Wider das gesetzgebende Oberhaupt des Staats giebt es also keinen |
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rechtmäßigen Widerstand des Volks; denn nur durch Unterwerfung unter |
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seinen allgemein=gesetzgebenden Willen ist ein rechtlicher Zustand möglich; |
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also kein Recht des Aufstandes ( seditio ), noch weniger des Aufruhrs |
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( rebellio ), am allerwenigsten gegen ihn als einzelne Person (Monarch) |
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unter dem Vorwande des Mißbrauchs seiner Gewalt ( tyrannis ) Vergreifung |
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an seiner Person, ja an seinem Leben ( monarchomachismus |
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sub specie tyrannicidii ). Der geringste Versuch hiezu ist Hochverrath |
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( proditio eminens ), und der Verräther dieser Art kann als einer, der sein |
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Vaterland umzubringen versucht ( parricida ), nicht minder als mit |
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dem Tode bestraft werden. - - Der Grund der Pflicht des Volks einen, |
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selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt |
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dennoch zu ertragen liegt darin: daß sein Widerstand wider die höchste |
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Gesetzgebung selbst niemals anders als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche |
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Verfassung zernichtend gedacht werden muß. Denn um zu demselben |
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befugt zu sein, müßte ein öffentliches Gesetz vorhanden sein, welches |
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diesen Widerstand des Volks erlaubte, d. i. die oberste Gesetzgebung enthielte |
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eine Bestimmung in sich, nicht die oberste zu sein und das Volk als |
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Unterthan in einem und demselben Urtheile zum Souverän über den zu |
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machen, dem es unterthänig ist; welches sich widerspricht und wovon der |
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Widerspruch durch die Frage alsbald in die Augen fällt: wer denn in |
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diesem Streit zwischen Volk und Souverän Richter sein sollte (denn es |
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sind rechtlich betrachtet doch immer zwei verschiedene moralische Personen); |
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wo sich dann zeigt, daß das erstere es in seiner eigenen Sache sein will.*) |
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*) Weil die Entthronung eines Monarchen doch auch als freiwillige Ablegung der Krone und Niederlegung seiner Gewalt mit Zurückgebung derselben an [Seitenumbruch] das Volk gedacht werden kann, oder auch als eine ohne Vergreifung an der höchsten Person vorgenommene Verlassung derselben, wodurch sie in den Privatstand versetzt werden würde, so hat das Verbrechen des Volks, welches sie erzwang, doch noch wenigstens den Vorwand des Nothrechts ( casus necessitatis ) für sich, niemals aber das mindeste Recht ihn, das Oberhaupt, wegen der vorigen Verwaltung zu strafen: weil alles, was er vorher in der Qualität eines Oberhaupts that, als äußerlich rechtmäßig geschehen angesehen werden muß, und er selbst, als Quell der Gesetze betrachtet, nicht unrecht thun kann. Unter allen Gräueln einer Staatsumwälzung durch Aufruhr ist selbst die Ermordung des Monarchen noch nicht das ärgste; denn noch kann man sich vorstellen, sie geschehe vom Volk aus Furcht, er könne, wenn er am Leben bleibt, sich wieder ermannen und jenes die verdiente Strafe fühlen lassen, und solle also nicht eine Verfügung der Strafgerechtigkeit, sondern bloß der Selbsterhaltung sein. Die formale Hinrichtung ist es, was die mit Ideen des Menschenrechts erfüllte Seele mit einem Schaudern ergreift, das man wiederholentlich fühlt, so bald und so oft man sich diesen Auftritt denkt, wie das Schicksal Karls I oder Ludwigs XVI. Wie erklärt man sich aber dieses Gefühl, was hier nicht ästhetisch (ein Mitgefühl, Wirkung der Einbildungskraft, die sich in die Stelle des Leidenden versetzt), sondern moralisch, der gänzlichen Umkehrung aller Rechtsbegriffe, ist? Es wird als Verbrechen, was ewig bleibt und nie ausgetilgt werden kann, ( crimen immortale, inexpiabile ) angesehen und scheint demjenigen ähnlich zu sein, was die Theologen diejenige Sünde nennen, welche weder in dieser noch in jener Welt vergeben werden kann. Die Erklärung dieses Phänomens im menschlichen Gemüthe scheint aus folgenden Reflexionen über sich selbst, die selbst auf die staatsrechtlichen Principien ein Licht werfen, hervorzugehen. Eine jede Übertretung des Gesetzes kann und muß nicht anders als so erklärt werden, daß sie aus einer Maxime des Verbrechers (sich eine solche Unthat zur Regel zu machen) entspringe; denn wenn man sie von einem sinnlichen Antrieb ableite, so wäre sie nicht von ihm, als einem freien Wesen, begangen und könnte ihm nicht zugerechnet werden; wie es aber dem Subject möglich ist, eine solche Maxime wider das klare Verbot der gesetzgebenden Vernunft zu fassen, läßt sich schlechterdings nicht erklären; denn nur die Begebenheiten nach dem Mechanism der Natur sind erklärungsfähig. Nun kann der Verbrecher seine Unthat entweder nach der Maxime einer angenommenen objectiven Regel (als allgemein geltend), oder nur als Ausnahme von der Regel (sich davon gelegentlich zu dispensiren) begehen; im letzteren Fall weicht er nur (obzwar vorsetzlich) vom Gesetz ab; er kann seine eigene Übertretung zugleich verabscheuen und, ohne dem Gesetz förmlich den Gehorsam aufzukündigen, es nur umgehen wollen; im ersteren aber verwirft er die Autorität des Gesetzes selbst, dessen Gültigkeit er sich doch vor seiner Vernunft nicht abläugnen kann, und macht es sich zur Regel wider dasselbe zu handeln; seine Maxime ist also nicht bloß ermangelungsweise ( negative ), sondern [Seitenumbruch] sogar abbruchsweise ( contrarie ) oder, wie man sich ausdrückt, diametraliter , als Widerspruch (gleichsam feindselig) dem Gesetz entgegen. So viel wir einsehen, ist ein dergleichen Verbrechen einer förmlichen (ganz nutzlosen) Bosheit zu begehen Menschen unmöglich und doch (obzwar bloße Idee des Äußerst=Bösen) in einem System der Moral nicht zu übergehen. Der Grund des Schauderhaften bei dem Gedanken von der förmlichen Hinrichtung eines Monarchen durch sein Volk ist also der, daß der Mord nur als Ausnahme von der Regel, welche dieses sich zur Maxime machte, die Hinrichtung aber als eine völlige Umkehrung der Principien des Verhältnisses zwischen Souverän und Volk (dieses, was sein Dasein nur der Gesetzgebung des ersteren zu verdanken hat, zum Herrscher über jenen zu machen) gedacht werden muß, und so die Gewaltthätigkeit mit dreuster Stirn und nach Grundsätzen über das heiligste Recht erhoben wird; welches, wie ein Alles ohne Wiederkehr verschlingender Abgrund, als ein vom Staate an ihm verübter Selbstmord, ein keiner Entsündigung fähiges Verbrechen zu sein scheint. Man hat also Ursache anzunehmen, daß die Zustimmung zu solchen Hinrichtungen wirklich nicht aus einem vermeint=rechtlichen Princip, sondern aus Furcht vor Rache des vielleicht dereinst wieder auflebenden Staats am Volk herrührte, und jene Förmlichkeit nur vorgenommen worden, um jener That den Anstrich von Bestrafung, mithin eines rechtlichen Verfahrens (dergleichen der Mord nicht sein würde) zu geben, welche Bemäntelung aber verunglückt, weil eine solche Anmaßung des Volks noch ärger ist, als selbst der Mord, da diese einen Grundsatz enthält, der selbst die Wiedererzeugung eines umgestürzten Staats unmöglich machen müßte. |
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