Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 219 |
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01 | mögen in allen Fällen äußere sein) kann doch in Ansehung der | ||||||
02 | Triebfedern unterschieden sein. Diejenige, welche eine Handlung zur | ||||||
03 | Pflicht und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ist ethisch. Diejenige | ||||||
04 | aber, welche das Letztere nicht im Gesetze mit einschließt, mithin | ||||||
05 | auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht selbst zuläßt, ist | ||||||
06 | juridisch. Man sieht in Ansehung der letztern leicht ein, daß diese von | ||||||
07 | der Idee der Pflicht unterschiedene Triebfeder von den pathologischen | ||||||
08 | Bestimmungsgründen der Willkür der Neigungen und Abneigungen und | ||||||
09 | unter diesen von denen der letzteren Art hergenommen sein müsse, weil | ||||||
10 | es eine Gesetzgebung, welche nöthigend, nicht eine Anlockung, die einladend | ||||||
11 | ist, sein soll. | ||||||
12 | Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung | ||||||
13 | einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben | ||||||
14 | die Legalität (Gesetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die | ||||||
15 | Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung | ||||||
16 | ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben. | ||||||
17 | Die Pflichten nach der rechtlichen Gesetzgebung können nur äußere | ||||||
18 | Pflichten sein, weil diese Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieser | ||||||
19 | Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür | ||||||
20 | des Handelnden sei, und, da sie doch einer für Gesetze schicklichen Triebfeder | ||||||
21 | bedarf, nur äußere mit dem Gesetze verbinden kann. Die ethische | ||||||
22 | Gesetzgebung dagegen macht zwar auch innere Handlungen zu Pflichten, | ||||||
23 | aber nicht etwa mit Ausschließung der äußeren, sondern geht auf alles, | ||||||
24 | was Pflicht ist, überhaupt. Aber eben darum, weil die ethische Gesetzgebung | ||||||
25 | die innere Triebfeder der Handlung (die Idee der Pflicht) in ihr | ||||||
26 | Gesetz mit einschließt, welche Bestimmung durchaus nicht in die äußere | ||||||
27 | Gesetzgebung einfließen muß, so kann die ethische Gesetzgebung keine äußere | ||||||
28 | (selbst nicht die eines göttlichen Willens) sein, ob sie zwar die Pflichten, | ||||||
29 | die auf einer anderen, nämlich äußeren Gesetzgebung beruhen, als Pflichten | ||||||
30 | in ihre Gesetzgebung zu Triebfedern aufnimmt. | ||||||
31 | Hieraus ist zu ersehen, daß alle Pflichten blos darum, weil sie Pflichten | ||||||
32 | sind, mit zur Ethik gehören, aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal | ||||||
33 | in der Ethik enthalten, sondern von vielen derselben außerhalb derselben. | ||||||
34 | So gebietet die Ethik, daß ich eine in einem Vertrage gethane | ||||||
35 | Anheischigmachung, wenn mich der andere Theil gleich nicht dazu zwingen | ||||||
36 | könnte, doch erfüllen müsse: allein sie nimmt das Gesetz ( pacta sunt servanda ) | ||||||
37 | und die diesem correspondirende Pflicht aus der Rechtslehre als | ||||||
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