Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 217

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 daran nicht können mangeln lassen, und wir werden oft die besondere      
  02 Natur des Menschen, die nur durch Erfahrung erkannt wird, zum Gegenstande      
  03 nehmen müssen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen      
  04 moralischen Principien zu zeigen, ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit      
  05 der letzteren etwas benommen, noch ihr Ursprung a priori dadurch      
  06 zweifelhaft gemacht wird. - Das will so viel sagen als: eine Metaphysik      
  07 der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf sie angewandt      
  08 werden.      
           
  09 Das Gegenstück einer Metaphysik der Sitten, als das andere Glied      
  10 der Eintheilung der praktischen Philosophie überhaupt, würde die moralische      
  11 Anthropologie sein, welche, aber nur die subjective, hindernde sowohl      
  12 als begünstigende Bedingungen der Ausführung der Gesetze der      
  13 ersteren in der menschlichen Natur, die Erzeugung, Ausbreitung und Stärkung      
  14 moralischer Grundsätze (in der Erziehung, der Schul= und Volksbelehrung)      
  15 und dergleichen andere sich auf Erfahrung gründende Lehren      
  16 und Vorschriften enthalten würde, und die nicht entbehrt werden kann,      
  17 aber durchaus nicht vor jener vorausgeschickt, oder mit ihr vermischt werden      
  18 muß: weil man alsdann Gefahr läuft, falsche oder wenigstens nachsichtliche      
  19 moralische Gesetze herauszubringen, welche das für unerreichbar      
  20 vorspiegeln, was nur eben darum nicht erreicht wird, weil das Gesetz nicht      
  21 in seiner Reinigkeit (als worin auch seine Stärke besteht) eingesehen und      
  22 vorgetragen worden, oder gar unächte oder unlautere Triebfedern zu dem,      
  23 was an sich pflichtmäßig und gut ist, gebraucht werden, welche keine sichere      
  24 moralische Grundsätze übrig lassen, weder zum Leitfaden der Beurtheilung,      
  25 noch zur Disciplin des Gemüths in der Befolgung der Pflicht, deren      
  26 Vorschrift schlechterdings nur durch reine Vernunft a priori gegeben werden      
  27 muß.      
           
  28 Was aber die Obereintheilung, unter welcher die eben jetzt erwähnte      
  29 steht, nämlich die der Philosophie in die theoretische und praktische, und      
  30 daß diese keine andere als die moralische Weltweisheit sein könne, betrifft,      
  31 darüber habe ich mich schon anderwärts (in der Kritik der Urtheilskraft)      
  32 erklärt. Alles Praktische, was nach Naturgesetzen möglich sein soll (die      
  33 eigentliche Beschäftigung der Kunst), hängt seiner Vorschrift nach gänzlich      
  34 von der Theorie der Natur ab; nur das Praktische nach Freiheitsgesetzen      
  35 kann Principien haben, die von keiner Theorie abhängig sind; denn über      
  36 die Naturbestimmungen hinaus giebt es keine Theorie. Also kann die      
  37 Philosophie unter dem praktischen Theile (neben ihrem theoretischen) keine      
           
     

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