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Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 190 |
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Text (Kant): |
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Wenn das aber so ist, wie reimt es sich mit der Gewissenhaftigkeit zusammen, |
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gleichwohl auf eine solche Glaubenserklärung, die keine Einschränkung |
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zuläßt, zu dringen und die Vermessenheit solcher Betheurungen sogar |
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selbst für Pflicht und gottesdienstlich auszugeben, dadurch aber die Freiheit |
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der Menschen, die zu allem, was moralisch ist (dergleichen die Annahme |
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einer Religion), durchaus erfordert wird, gänzlich zu Boden zu |
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schlagen und nicht einmal dem guten Willen Platz einzuräumen, der da |
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sagt: "Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben!" †) |
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Allgemeine Anmerkung. |
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Was Gutes der Mensch nach Freiheitsgesetzen für sich selbst thun |
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kann in Vergleichung mit dem Vermögen, welches ihm nur durch übernatürliche |
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Beihülfe möglich ist, kann man Natur zum Unterschied von |
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der Gnade nennen. Nicht als ob wir durch den ersteren Ausdruck eine |
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physische, von der Freiheit unterschiedene Beschaffenheit verständen, sondern |
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bloß, weil wir für dieses Vermögen wenigstens die Gesetze (der |
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Tugend) erkennen, und die Vernunft also davon, als einem Analogon |
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der Natur, einen für sie sichtbaren und faßlichen Leitfaden hat; dagegen |
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*†) O Aufrichtigkeit! du Asträa, die du von der Erde zum Himmel entflohen bist, wie zieht man dich (die Grundlage des Gewissens, mithin aller inneren Religion) von da zu uns wieder herab? Ich kann es einräumen, wiewohl es sehr zu bedauren ist, daß Offenherzigkeit (die ganze Wahrheit, die man weiß, zu sagen) in der menschlichen Natur nicht angetroffen wird. Aber Aufrichtigkeit (daß alles, was man sagt, mit Wahrhaftigkeit gesagt sei) muß man von jedem Menschen fordern können, und wenn auch selbst dazu keine Anlage in unserer Natur wäre, deren Cultur nur vernachlässigt wird, so würde die Menschenrasse in ihren eigenen Augen ein Gegenstand der tiefsten Verachtung sein müssen. Aber jene verlangte Gemüthseigenschaft ist eine solche, die vielen Versuchungen ausgesetzt ist und manche Aufopferung kostet, daher auch moralische Stärke, d. i. Tugend (die erworben werden muß), fordert, die aber früher als jede andere bewacht und cultivirt werden muß, weil der entgegengesetzte Hang, wenn man ihn hat einwurzeln lassen, am schwersten auszurotten ist. - Nun vergleiche man damit unsere Erziehungsart, vornehmlich im Punkte der Religion, oder besser der Glaubenslehren, wo die Treue des Gedächtnisses in Beantwortung der sie betreffenden Fragen, ohne auf die Treue des Bekenntnisses zu sehen (worüber nie eine Prüfung angestellt wird), schon für hinreichend angenommen wird, einen Gläubigen zu machen, der das, was er heilig betheuert, nicht einmal versteht, und man wird sich über den Mangel der Aufrichtigkeit, der lauter innere Heuchler macht, nicht mehr wundern. |
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