Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 117 |
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| 01 | Mühe gegeben hat, von diesem Glauben und der Acceptation der angebotenen | ||||||
| 02 | Wohlthat die unausbleibliche Folge sein werde. Diesen Glauben | ||||||
| 03 | kann kein überlegender Mensch, so sehr auch die Selbstliebe öfters den | ||||||
| 04 | bloßen Wunsch eines Gutes, wozu man nichts thut oder thun kann, in | ||||||
| 05 | Hoffnung verwandelt, als werde sein Gegenstand, durch die bloße Sehnsucht | ||||||
| 06 | gelockt, von selbst kommen, in sich zuwege bringen. Man kann dieses | ||||||
| 07 | sich nicht anders möglich denken, als daß der Mensch sich diesen Glauben | ||||||
| 08 | selbst als ihm himmlisch eingegeben und so als etwas, worüber er seiner | ||||||
| 09 | Vernunft weiter keine Rechenschaft zu geben nöthig hat, betrachte. Wenn | ||||||
| 10 | er dies nicht kann, oder noch zu aufrichtig ist, ein solches Vertrauen als | ||||||
| 11 | bloßes Einschmeichelungsmittel in sich erkünsteln, so wird er bei aller | ||||||
| 12 | Achtung für eine solche überschwengliche Genugthuung, bei allem Wunsche, | ||||||
| 13 | daß eine solche auch für ihn offen stehen möge, doch nicht umhin können, | ||||||
| 14 | sie nur als bedingt anzusehen, nämlich daß sein, soviel in seinem Vermögen | ||||||
| 15 | ist, gebesserter Lebenswandel vorhergehen müsse, um auch nur den | ||||||
| 16 | mindesten Grund zur Hoffnung zu geben, ein solches höheres Verdienst | ||||||
| 17 | könne ihm zu Gute kommen. - Wenn also das historische Erkenntniß von | ||||||
| 18 | dem letztern zum Kirchenglauben, der erstere aber als Bedingung zum | ||||||
| 19 | reinen moralischen Glauben gehört, so wird dieser vor jenem vorhergehen | ||||||
| 20 | müssen. | ||||||
| 21 | 2. Wenn aber der Mensch von Natur verderbt ist, wie kann er glauben, | ||||||
| 22 | aus sich, er mag sich auch bestreben, wie er wolle, einen neuen, Gott | ||||||
| 23 | wohlgefälligen Menschen zu machen, wenn er - sich der Vergehungen, | ||||||
| 24 | deren er sich bisher schuldig gemacht hat, bewußt - noch unter der Macht | ||||||
| 25 | des bösen Princips steht und in sich kein hinreichendes Vermögen antrifft, | ||||||
| 26 | es künftighin besser zu machen? Wenn er nicht die Gerechtigkeit, die er | ||||||
| 27 | selbst wider sich erregt hat, durch fremde Genugthuung als versöhnt, sich | ||||||
| 28 | selbst aber durch diesen Glauben gleichsam als neugeboren ansehen und | ||||||
| 29 | so allererst einen neuen Lebenswandel antreten kann, der alsdann die | ||||||
| 30 | Folge von dem mit ihm vereinigten guten Princip sein würde, worauf will | ||||||
| 31 | er seine Hoffnung ein Gott gefälliger Mensch zu werden gründen? - Also | ||||||
| 32 | muß der Glaube an ein Verdienst, das nicht das seinige ist, und wodurch | ||||||
| 33 | er mit Gott versöhnt wird, vor aller Bestrebung zu guten Werken vorhergehen; | ||||||
| 34 | welches dem vorigen Satze widerstreitet. Dieser Streit kann nicht | ||||||
| 35 | durch Einsicht in die Causalbestimmung der Freiheit des menschlichen | ||||||
| 36 | Wesens, d. i. der Ursachen, welche machen, daß ein Mensch gut oder böse | ||||||
| 37 | wird, also nicht theoretisch ausgeglichen werden: denn diese Frage übersteigt | ||||||
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