Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 105 |
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| 01 | Willen weiß, ihm wohlgefällig zu werden suchen, werden diejenigen sein, | ||||||
| 02 | die ihm die wahre Verehrung, die er verlangt, leisten. | ||||||
| 03 | Wenn wir uns aber nicht bloß als Menschen, sondern auch als Bürger | ||||||
| 04 | in einem göttlichen Staate auf Erden zu betragen und auf die Existenz | ||||||
| 05 | einer solchen Verbindung unter dem Namen einer Kirche zu wirken uns | ||||||
| 06 | verpflichtet halten, so scheint die Frage, wie Gott in einer Kirche (als | ||||||
| 07 | einer Gemeinde Gottes) verehrt sein wolle, nicht durch bloße Vernunft beantwortlich | ||||||
| 08 | zu sein, sondern einer statutarischen, uns nur durch Offenbarung | ||||||
| 09 | kund werdenden Gesetzgebung, mithin eines historischen Glaubens, | ||||||
| 10 | welchen man im Gegensatz mit dem reinen Religionsglauben den Kirchenglauben | ||||||
| 11 | nennen kann, zu bedürfen. Denn bei dem erstern kommt es bloß | ||||||
| 12 | auf das, was die Materie der Verehrung Gottes ausmacht, nämlich die | ||||||
| 13 | in moralischer Gesinnung geschehende Beobachtung aller Pflichten als seiner | ||||||
| 14 | Gebote, an; eine Kirche aber als Vereinigung vieler Menschen unter | ||||||
| 15 | solchen Gesinnungen zu einem moralischen gemeinen Wesen bedarf einer | ||||||
| 16 | öffentlichen Verpflichtung, einer gewissen auf Erfahrungsbedingungen | ||||||
| 17 | beruhenden kirchlichen Form, die an sich zufällig und mannigfaltig ist, | ||||||
| 18 | mithin ohne göttliche statutarische Gesetze nicht als Pflicht erkannt werden | ||||||
| 19 | kann. Aber diese Form zu bestimmen darf darum nicht sofort als ein Geschäft | ||||||
| 20 | des göttlichen Gesetzgebers angesehen werden, vielmehr kann man | ||||||
| 21 | mit Grunde annehmen, der göttliche Wille sei: daß wir die Vernunftidee | ||||||
| 22 | eines solchen gemeinen Wesens selbst ausführen, und ob die Menschen zwar | ||||||
| 23 | manche Form einer Kirche mit unglücklichem Erfolg versucht haben möchten, | ||||||
| 24 | sie dennoch nicht aufhören sollen, nöthigenfalls durch neue Versuche, | ||||||
| 25 | welche die Fehler der vorigen bestmöglichst vermeiden, diesem Zwecke nachzustreben; | ||||||
| 26 | indem dieses Geschäft, welches zugleich für sie Pflicht ist, gänzlich | ||||||
| 27 | ihnen selbst überlassen ist. Man hat also nicht Ursache, zur Gründung | ||||||
| 28 | und Form irgend einer Kirche die Gesetze geradezu für göttliche statutarische | ||||||
| 29 | zu halten, vielmehr ist es Vermessenheit, sie dafür auszugeben, um | ||||||
| 30 | sich der Bemühung zu überheben, noch ferner an der Form der letztern zu | ||||||
| 31 | bessern, oder wohl gar Usurpation höhern Ansehens, um mit Kirchensatzungen | ||||||
| 32 | durch das Vorgeben göttlicher Autorität der Menge ein Joch | ||||||
| 33 | aufzulegen; wobei es aber doch eben sowohl Eigendünkel sein würde, | ||||||
| 34 | schlechtweg zu leugnen, daß die Art, wie eine Kirche angeordnet ist, nicht | ||||||
| 35 | vielleicht auch eine besondere göttliche Anordnung sein könne, wenn sie, | ||||||
| 36 | so viel wir einsehen, mit der moralischen Religion in der größten Einstimmung | ||||||
| 37 | ist, und noch dazu kommt, daß, wie sie ohne die gehörig vorbereiteten | ||||||
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