Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 093 |
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04 | Der Kampf, den ein jeder moralisch wohlgesinnte Mensch unter der | ||||||
05 | Anführung des guten Princips gegen die Anfechtungen des bösen in diesem | ||||||
06 | Leben bestehen muß, kann ihm, wie sehr er sich auch bemüht, doch | ||||||
07 | keinen größern Vortheil verschaffen, als die Befreiung von der Herrschaft | ||||||
08 | des letztern. Daß er frei, daß er "der Knechtschaft unter dem | ||||||
09 | Sündengesetz entschlagen wird, um der Gerechtigkeit zu leben", das ist der | ||||||
10 | höchste Gewinn, den er erringen kann. Den Angriffen des letztern bleibt | ||||||
11 | er nichts destoweniger noch immer ausgesetzt; und seine Freiheit, die beständig | ||||||
12 | angefochten wird, zu behaupten, muß er forthin immer zum | ||||||
13 | Kampfe gerüstet bleiben. | ||||||
14 | In diesem gefahrvollen Zustande ist der Mensch gleichwohl durch | ||||||
15 | seine eigene Schuld; folglich ist er verbunden, soviel er vermag, wenigstens | ||||||
16 | Kraft anzuwenden, um sich aus demselben herauszuarbeiten. Wie | ||||||
17 | aber? das ist die Frage. - Wenn er sich nach den Ursachen und Umständen | ||||||
18 | umsieht, die ihm diese Gefahr zuziehen und darin erhalten, so kann er | ||||||
19 | sich leicht überzeugen, daß sie ihm nicht sowohl von seiner eigenen rohen | ||||||
20 | Natur, sofern er abgesondert da ist, sondern von Menschen kommen, mit | ||||||
21 | denen er in Verhältniß oder Verbindung steht. Nicht durch die Anreize | ||||||
22 | der ersteren werden die eigentlich so zu benennende Leidenschaften in | ||||||
23 | ihm rege, welche so große Verheerungen in seiner ursprüngliche guten Anlage | ||||||
24 | anrichten. Seine Bedürfnisse sind nur klein und sein Gemüthszustand | ||||||
25 | in Besorgung derselben gemäßigt und ruhig. Er ist nur arm (oder | ||||||
26 | hält sich dafür), sofern er besorgt, daß ihn andere Menschen dafür halten | ||||||
27 | und darüber verachten möchten. Der Neid, die Herrschsucht, die Habsucht | ||||||
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