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Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 057 |
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Text (Kant): |
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01 |
Zweites Stück. |
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02 |
Von dem Kampf des guten Princips mit dem bösen |
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03 |
um die Herrschaft über den Menschen. |
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Daß, um ein moralisch guter Mensch zu werden, es nicht genug sei, |
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den Keim des Guten, der in unserer Gattung liegt, sich bloß ungehindert |
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entwickeln zu lassen, sondern auch eine in uns befindliche entgegenwirkende |
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Ursache des Bösen zu bekämpfen sei, das haben unter allen alten Moralisten |
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vornehmlich die Stoiker durch ihr Losungswort Tugend, welches |
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(sowohl im Griechischen als Lateinischen) Muth und Tapferkeit bezeichnet |
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und also einen Feind voraussetzt, zu erkennen gegeben. In diesem Betracht |
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ist der Name Tugend ein herrlicher Name, und es kann ihm nicht |
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schaden, daß er oft prahlerisch gemißbraucht und (so wie neuerlich das |
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Wort Aufklärung) bespöttelt worden. - Denn den Muth auffordern, ist |
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schon zur Hälfte so viel, als ihn einflößen; dagegen die faule, sich selbst |
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gänzlich mißtrauende und auf äußere Hülfe harrende kleinmüthige Denkungsart |
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(in Moral und Religion) alle Kräfte des Menschen abspannt |
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und ihn dieser Hülfe selbst unwürdig macht. |
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Aber jene wackern Männer verkannten doch ihren Feind, der nicht |
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in den natürlichen, bloß undisciplinirten, sich aber unverhohlen jedermanns |
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Bewußtsein offen darstellenden Neigungen zu suchen, sondern ein gleichsam |
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unsichtbarer, sich hinter Vernunft verbergender Feind und darum |
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desto gefährlicher ist. Sie boten die Weisheit gegen die Thorheit auf, |
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die sich von Neigungen bloß unvorsichtig täuschen läßt, anstatt sie wider |
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die Bosheit (des menschlichen Herzens) aufzurufen, die mit seelenverderbenden |
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Grundsätzen die Gesinnung insgeheim untergräbt *). |
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*) Diese Philosophen nahmen ihr allgemeines moralisches Princip von der Würde der menschlichen Natur, der Freiheit (als Unabhängigkeit von der Macht [Seitenumbruch] der Neigungen), her; ein besseres und edleres konnten sie auch nicht zum Grunde legen. Die moralischen Gesetze schöpften sie nun unmittelbar aus der auf solche Art allein gesetzgebenden und durch sie schlechthin gebietenden Vernunft, und so war objectiv, was die Regel betrifft, und auch subjectiv, was die Triebfeder anlangt, wenn man dem Menschen einen unverdorbenen Willen beilegt, diese Gesetze unbedenklich in seine Maximen aufzunehmen, alles ganz richtig angegeben. Aber in der letzteren Voraussetzung lag eben der Fehler. Denn so früh wir auch auf unsern sittlichen Zustand unsere Aufmerksamkeit richten mögen, so finden wir: daß mit ihm es nicht mehr res integra ist, sondern wir davon anfangen müssen, das Böse, was schon Platz genommen hat (es aber, ohne daß wir es in unsere Maxime aufgenommen hätten, nicht Würde haben thun können), aus seinem Besitz zu vertreiben: d. i. das erste wahre Gute, was der Mensch thun kann, sei, vom Bösen auszugehen, welches nicht in den Neigungen, sondern in der verkehrten Maxime und also in der Freiheit selbst zu suchen ist. Jene erschweren nur die Ausführung der entgegengesetzten guten Maxime; das eigentliche Böse aber besteht darin: daß man jenen Neigungen, wenn sie zur Übertretung anreizen, nicht widerstehen will, und diese Gesinnung ist eigentlich der wahre Feind. Die Neigungen sind nur Gegner der Grundsätze überhaupt (sie mögen gut oder böse sein), und so fern ist jenes edelmüthige Princip der Moralität als Vorübung (Disciplin der Neigungen überhaupt) zur Lenksamkeit des Subjects durch Grundsätze vortheilhaft. Aber sofern es specifisch Grundsätze des Sittlich=Guten sein sollen und es gleichwohl als Maxime nicht sind, so muß noch ein anderer Gegner derselben im Subject vorausgesetzt werden, mit dem die Tugend den Kampf zu bestehen hat, ohne welchen alle Tugenden, zwar nicht, wie jener Kirchenvater will, glänzende Laster, aber doch glänzende Armseligkeiten sein würden: weil dadurch zwar öfters der Aufruhr gestillt, der Aufrührer selbst aber nie besiegt und ausgerottet wird. |
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