Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 478

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wo man der allgemeinen Körperlehre bedarf, sich nur auf das abgesonderte      
  02 System derselben berufen darf, ohne jenes größere mit diesem anzuschwellen.      
  03 Es ist auch in der That sehr merkwürdig (kann aber hier nicht ausführlich      
  04 vor Augen gelegt werden), daß die allgemeine Metaphysik in allen      
  05 Fällen, wo sie Beispiele (Anschauungen) bedarf, um ihren reinen Verstandesbegriffen      
  06 Bedeutung zu verschaffen, diese jederzeit aus der allgemeinen      
  07 Körperlehre, mithin von der Form und den Principien der äußeren      
  08 Anschauung hernehmen müsse und, wenn diese nicht vollendet darliegen,      
  09 unter lauter sinnleeren Begriffen unstät und schwankend herumtappe. Daher      
  10 die bekannten Streitigkeiten, wenigstens die Dunkelheit in den Fragen      
  11 über die Möglichkeit eines Widerstreits der Realitäten, die der intensiven      
  12 Größe u. a. m., bei welchen der Verstand nur durch Beispiele aus der      
  13 körperlichen Natur belehrt wird, welches die Bedingungen sind, unter denen      
  14 jene Begriffe allein objective Realität, d. i. Bedeutung und Wahrheit,      
  15 haben können. Und so thut eine abgesonderte Metaphysik der körperlichen      
  16 Natur der allgemeinen vortreffliche und unentbehrliche Dienste,      
  17 indem sie Beispiele (Fälle in Concreto ) herbeischafft, die Begriffe und      
  18 Lehrsätze der letzteren (eigentlich der Transscendentalphilosophie) zu      
  19 realisiren, d. i. einer bloßen Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen.      
           
  21 Ich habe in dieser Abhandlung die mathematische Methode, wenn      
  22 gleich nicht mit aller Strenge befolgt (wozu mehr Zeit erforderlich gewesen      
  23 wäre, als ich darauf zu verwenden hätte), dennoch nachgeahmt, nicht um      
  24 ihr durch ein Gepränge von Gründlichkeit besseren Eingang zu verschaffen,      
  25 sondern weil ich glaube, daß ein solches System deren wohl fähig sei und      
  26 diese Vollkommenheit auch mit der Zeit von geschickterer Hand wohl erlangen      
  27 könne, wenn, durch diesen Entwurf veranlaßt, mathematische Naturforscher      
  28 es nicht unwichtig finden sollten, den metaphysischen Theil, dessen      
  29 sie ohnedem nicht entübrigt sein können, in ihrer allgemeinen Physik als      
  30 einen besonderen Grundtheil zu behandeln und mit der mathematischen      
  31 Bewegungslehre in Vereinigung zu bringen.      
           
  32 Newton sagt in der Vorrede zu seinen mathem. Grundlehren der      
  33 Nat.=Wiss. (nachdem er angemerkt hatte, daß die Geometrie von den      
  34 mechanischen Handgriffen, die sie postulirt, nur zweier bedürfe, nämlich      
  35 eine gerade Linie und einen Cirkel zu beschreiben): die Geometrie ist      
  36 stolz darauf, daß sie mit so wenigem, was sie anderwärts hernimmt,      
           
     

[ Seite 477 ] [ Seite 479 ] [ Inhaltsverzeichnis ]