Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 474

     
           
 

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  01 die Tafel der Kategorien.*) Denn mehr giebt es nicht reine Verstandesbegriffe,      
  02 die die Natur der Dinge betreffen können. Unter die vier Classen      
           
    *) Nicht wider diese Tafel der reinen Verstandesbegriffe, sondern die daraus gezogenen Schlüsse auf die Grenzbestimmung des ganzen reinen Vernunftvermögens, mithin auch aller Metaphysik finde ich in der Allgem. Litt. zeit. Nr. 295 in der Recension der Institutiones Logicae et Metaph. des Herrn Prof. Ulrich Zweifel, in welchen der tiefforschende Recensent mit seinem nicht minder prüfenden Verfasser übereinzukommen sich erklärt, und zwar Zweifel, die, weil sie gerade das Hauptfundament meines in der Kritik aufgestellten Systems treffen sollen, Ursache wären, daß dieses in Ansehung seines Hauptzieles noch lange nicht diejenige apodiktische Überzeugung bei sich führe, welche zur Abnöthigung einer uneingeschränkten Annahme erforderlich ist; dieses Hauptfundament sei meine theils dort, theils in den Prolegomenen vorgetragene Deduction der reinen Verstandesbegriffe, die aber in dem Theile der Kritik, welcher gerade der hellste sein müßte, am meisten dunkel wäre, oder wohl gar sich im Cirkel herumdrehte etc.. Ich richte meine Beantwortung dieser Einwürfe nur auf den Hauptpunkt derselben, daß nämlich ohne eine ganz klare und genugthuende Deduction der Kategorien das System der Kritik der reinen Vernunft in seinem Fundamente wanke. Dagegen behaupte ich, daß für denjenigen, der meine Sätze von der Sinnlichkeit aller unserer Anschauung und der Zulänglichkeit der Tafel der Kategorien, als von den logischen Functionen in Urtheilen überhaupt entlehnter Bestimmungen unseres Bewußtseins, unterschreibt (wie dieses denn der Recensent thut), das System der Kritik apodiktische Gewißheit bei sich führen müsse, weil dieses auf dem Satze erbauet ist: daß der ganze speculative Gebrauch unserer Vernunft niemals weiter als auf Gegenstände möglicher Erfahrung reiche. Denn wenn bewiesen werden kann, daß die Kategorien, deren sich die Vernunft in allem ihrem Erkenntniß bedienen muß, gar keinen anderen Gebrauch, als blos in Beziehung auf Gegenstände der Erfahrung haben können (dadurch daß sie in dieser blos die Form des Denkens möglich machen), so ist die Beantwortung der Frage, wie sie solche möglich machen, zwar wichtig genug, um diese Deduction wo möglich zu vollenden, aber in Beziehung auf den Hauptzweck des Systems, nämlich die Grenzbestimmung der reinen Vernunft, keinesweges nothwendig, sondern blos verdienstlich. Denn in dieser Absicht ist die Deduction schon alsdann weit genug geführt, wenn sie zeigt, daß gedachte Kategorien nichts anders als bloße Formen der Urtheile sind, so fern sie auf Anschauungen (die bei uns immer nur sinnlich sind) angewandt werden, dadurch aber allererst Objecte bekommen und Erkenntnisse werden: weil dieses schon hinreicht, das ganze System der eigentlichen Kritik darauf mit völliger Sicherheit zu gründen. So steht Newtons System der allgemeinen Gravitäten fest, ob es gleich die Schwierigkeit bei sich führt, daß man nicht erklären kann, wie Anziehung in die Ferne möglich sei; aber Schwierigkeiten sind nicht Zweifel. Daß nun jenes Hauptfundament auch ohne vollständige Deduction der Kategorien fest stehe, beweise ich aus dem Zugestandenen also: 1. Zugestanden: daß die Tafel der Kategorien alle reine Verstandesbegriffe vollständig enthalte und eben so alle formale Verstandeshandlungen in Urtheilen, von welchen sie abgeleitet und auch in nichts unterschieden sind, als daß durch den Verstandesbegriff ein Object in Ansehung einer oder der andern Function der Urtheile als bestimmt gedacht wird (z. B. so wird in dem kategorischen Urtheile: der Stein ist hart, der Stein für Subject und hart als Prädicat gebraucht, so doch, daß es dem Verstande unbenommen bleibt, die logische Function dieser Begriffe umzutauschen und zu sagen: einiges Harte ist ein Stein; dagegen wenn ich es mir im Objecte als bestimmt vorstelle, daß der Stein in jeder möglichen Bestimmung eines Gegenstandes, nicht des bloßen Begriffs nur als Subject, die Härte aber nur als Prädicat gedacht werden müsse, dieselbe logische Functionen nun reine Verstandesbegriffe von Objecten, nämlich als Substanz und Accidens, werden); 2.zugestanden: daß der Verstand durch seine Natur synthetische Grundsätze a priori bei sich führe, durch die er alle Gegenstände, die ihm gegeben werden mögen, jenen Kategorien unterwirft, mithin es auch Anschauungen a priori geben müsse, welche die zur Anwendung jener reinen Verstandesbegriffe erforderliche Bedingungen enthalten, weil ohne Anschauung kein Object, in Ansehung dessen die logische Function als Kategorie bestimmt werden könnte, mithin auch keine Erkenntniß irgend eines Gegenstandes und also auch ohne reine Anschauung kein Grundsatz, der sie a priori in dieser Absicht bestimmte, stattfindet; 3. zugestanden: daß diese reine Anschauungen niemals etwas anders, als bloße Formen der Erscheinungen äußerer oder des innern Sinnes (Raum und Zeit), folglich nur allein der Gegenstände möglicher Erfahrungen sein können: so folgt: daß aller Gebrauch der reinen Vernunft niemals worauf anders, als auf Gegenstände der Erfahrung gehen könne, und, weil in Grundsätzen a priori nichts empirisches die Bedingung sein kann, sie nichts weiter als Principien der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sein können. Dieses allein ist das wahre und hinlängliche Fundament der Grenzbestimmung der reinen Vernunft, aber nicht die Auflösung der Aufgabe: wie nun Erfahrung vermittelst jener Kategorien und nur allein durch dieselbe möglich sei. Die letztere Aufgabe, obgleich auch ohne sie das Gebäude fest steht, hat indessen große Wichtigkeit und, wie ich es jetzt einsehe, eben so große Leichtigkeit, da sie beinahe durch einen einzigen Schluß aus der genau bestimmten Definition eines Urtheils überhaupt (einer Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objects werden) verrichtet werden kann. Die [Seitenumbruch] Dunkelheit, die in diesem Theile der Deduction meinen vorigen Verhandlungen anhängt, und die ich nicht in Abrede ziehe, ist dem gewöhnlichen Schicksale des Verstandes im Nachforschen beizumessen, dem der kürzeste Weg gemeiniglich nicht der erste ist, den er gewahr wird. Daher ich die nächste Gelegenheit ergreifen werde, diesen Mangel (welcher auch nur die Art der Darstellung, nicht den dort schon richtig angegebenen Erklärungsgrund betrifft) zu ergänzen, ohne daß der scharfsinnige Recensent in die ihm gewiß selbst unangenehm fallende Nothwendigkeit versetzt werden darf, wegen der befremdlichen Einstimmung der Erscheinungen zu den Verstandesgesetzen, ob diese gleich von jenen ganz verschiedene Quellen haben, zu einer prästabilirten Harmonie seine Zuflucht zu nehmen; einem Rettungsmittel, welches weit schlimmer wäre als das Übel, dawider es helfen soll, und das dagegen doch wirklich nichts helfen kann. Denn auf diese kommt doch jene objective Nothwendigkeit nicht heraus, welche die reinen Verstandesbegriffe (und die Grundsätze ihrer Anwendung auf Erscheinungen) charakterisirt, z. B. in dem Begriffe der Ursache in Verknüpfung mit der Wirkung, sondern alles bleibt blos subjectiv=nothwendige, objectiv aber blos zufällige Zusammenstellung, gerade wie es Hume will, wenn er sie bloße Täuschung aus Gewohnheit nennt. Auch kann kein System in der Welt diese Nothwendigkeit wo anders herleiten, als aus den a priori zum Grunde liegenden Principien der Möglichkeit des Denkens selbst, wodurch allein die Erkenntniß der Objecte, deren Erscheinung uns gegeben ist, d. i. Erfahrung, möglich wird; und gesetzt, die Art, wie Erfahrung dadurch allererst möglich werde, könnte niemals hinreichend erklärt werden, so bleibt es doch unwidersprechlich gewiß, daß sie blos durch jene Begriffe möglich, und jene Begriffe umgekehrt auch in keiner anderen Beziehung, als auf Gegenstände der Erfahrung einer Bedeutung und irgend eines Gebrauchs fähig sind.      
           
     

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