Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 355 |
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Text (Kant):
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| 01 | gleichartigen Gründen niemals hoffen kann, und weil diese sich wirklich auf | ||||||
| 02 | etwas von ihnen Unterschiedenes (mithin gänzlich Ungleichartiges) beziehen, | ||||||
| 03 | indem Erscheinungen doch jederzeit eine Sache an sich selbst voraussetzen | ||||||
| 04 | und also darauf Anzeige thun, man mag sie nun näher erkennen, oder nicht. | ||||||
| 05 | Da wir nun aber diese Verstandeswesen nach dem, was sie an sich | ||||||
| 06 | selbst sein mögen, d. i. bestimmt, niemals erkennen können, gleichwohl aber | ||||||
| 07 | solche im Verhältniß auf die Sinnenwelt dennoch annehmen und durch | ||||||
| 08 | die Vernunft damit verknüpfen müssen: so werden wir doch wenigstens | ||||||
| 09 | diese Verknüpfung vermittelst solcher Begriffe denken können, die ihr Verhältniß | ||||||
| 10 | zur Sinnenwelt ausdrücken. Denn denken wir das Verstandeswesen | ||||||
| 11 | durch nichts als reine Verstandesbegriffe, so denken wir uns dadurch | ||||||
| 12 | wirklich nichts Bestimmtes, mithin ist unser Begriff ohne Bedeutung; | ||||||
| 13 | denken wir es uns durch Eigenschaften, die von der Sinnenwelt entlehnt | ||||||
| 14 | sind, so ist es nicht mehr Verstandeswesen, es wird als eines von den | ||||||
| 15 | Phänomenen gedacht und gehört zur Sinnenwelt. Wir wollen ein Beispiel | ||||||
| 16 | vom Begriffe des höchsten Wesens hernehmen. | ||||||
| 17 | Der deistische Begriff ist ein ganz reiner Vernunftbegriff, welcher | ||||||
| 18 | aber nur ein Ding, das alle Realität enthält, vorstellt, ohne deren eine | ||||||
| 19 | einzige bestimmen zu können, weil dazu das Beispiel aus der Sinnenwelt | ||||||
| 20 | entlehnt werden müßte, in welchem Falle ich es immer nur mit einem | ||||||
| 21 | Gegenstande der Sinne, nicht aber mit etwas ganz Ungleichartigem, was | ||||||
| 22 | gar nicht ein Gegenstand der Sinne sein kann, zu thun haben würde. | ||||||
| 23 | Denn ich würde ihm z. B. Verstand beilegen; ich habe aber gar keinen | ||||||
| 24 | Begriff von einem Verstande als dem, der so ist wie der meinige, nämlich | ||||||
| 25 | ein solcher, dem durch Sinne Anschauungen müssen gegeben werden, und | ||||||
| 26 | der sich damit beschäftigt, sie unter Regeln der Einheit des Bewußtseins | ||||||
| 27 | zu bringen. Aber alsdann würden die Elemente meines Begriffs immer | ||||||
| 28 | in der Erscheinung liegen; ich wurde aber eben durch die Unzulänglichkeit | ||||||
| 29 | der Erscheinungen genöthigt, über dieselbe hinaus zum Begriffe eines | ||||||
| 30 | Wesens zu gehen, was gar nicht von Erscheinungen abhängig, oder damit | ||||||
| 31 | als Bedingungen seiner Bestimmung verflochten ist. Sondere ich aber den | ||||||
| 32 | Verstand von der Sinnlichkeit ab, um einen reinen Verstand zu haben: | ||||||
| 33 | so bleibt nichts als die bloße Form des Denkens ohne Anschauung übrig, | ||||||
| 34 | wodurch allein ich nichts Bestimmtes, also keinen Gegenstand erkennen | ||||||
| 35 | kann. Ich müßte mir zu dem Ende einen andern Verstand denken, der die | ||||||
| 36 | Gegenstände anschauete, wovon ich aber nicht den mindesten Begriff habe, | ||||||
| 37 | weil der menschliche discursiv ist und nur durch allgemeine Begriffe erkennen | ||||||
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