Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 347 |
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01 | der Erscheinungen aber doch zugleich als ein blos subordinirter Anfang | ||||||
02 | angesehen und ohne Widerspruch in jenem betracht als frei, in diesem | ||||||
03 | (da sie blos Erscheinung ist) als der Naturnothwendigkeit unterworfen | ||||||
04 | angesehen werden. | ||||||
05 | Was die vierte Antinomie betrifft, so wird sie auf die ähnliche Art | ||||||
06 | gehoben, wie der Widerstreit der Vernunft mit sich selbst in der dritten. | ||||||
07 | Denn wenn die Ursache in der Erscheinung nur von der Ursache der | ||||||
08 | Erscheinungen, so fern sie als Ding an sich selbst gedacht werden | ||||||
09 | kann, unterschieden wird, so können beide Sätze wohl neben einander bestehen, | ||||||
10 | nämlich daß von der Sinnenwelt überall keine Ursache (nach ähnlichen | ||||||
11 | Gesetzen der Causalität) stattfinde, deren Existenz schlechthin nothwendig | ||||||
12 | sei, imgleichen andererseits, daß diese Welt dennoch mit einem | ||||||
13 | nothwendigen Wesen als ihrer Ursache (aber von anderer Art und nach | ||||||
14 | einem andern Gesetze) verbunden sei; welcher zwei Sätze Unverträglichkeit | ||||||
15 | lediglich auf dem Mißverstande beruht, das, was blos von Erscheinungen | ||||||
16 | gilt, über Dinge an sich selbst auszudehnen und überhaupt beide in einem | ||||||
17 | Begriffe zu vermengen. | ||||||
18 | § 54. |
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19 | Dies ist nun die Aufstellung und Auflösung der ganzen Antinomie, | ||||||
20 | darin sich die Vernunft bei der Anwendung ihrer Principien auf die | ||||||
21 | Sinnenwelt verwickelt findet, und wovon auch jene (die bloße Aufstellung) | ||||||
22 | sogar allein schon ein beträchtliches Verdienst um die Kenntniß der menschlichen | ||||||
23 | Vernunft sein würde, wenn gleich die Auflösung dieses Widerstreits | ||||||
24 | den Leser, der hier einen natürlichen Schein zu bekämpfen hat, welcher ihm | ||||||
25 | nur neuerlich als ein solcher vorgestellt worden, nachdem er ihn bisher | ||||||
26 | immer für wahr gehalten, hiedurch noch nicht völlig befriedigt haben sollte. | ||||||
27 | Denn eine Folge hievon ist doch unausbleiblich, nämlich daß, weil es ganz | ||||||
28 | unmöglich ist, aus diesem Widerstreit der Vernunft mit sich selbst herauszukommen, | ||||||
29 | so lange man die Gegenstände der Sinnenwelt für Sachen an | ||||||
30 | sich selbst nimmt und nicht für das, was sie in der That sind, nämlich | ||||||
31 | bloße Erscheinungen, der Leser dadurch genöthigt werde, die Deduction | ||||||
32 | aller unsrer Erkenntniß a priori und die Prüfung derjenigen, die ich davon | ||||||
33 | gegeben habe, nochmals vorzunehmen, um darüber zur Entscheidung | ||||||
34 | zu kommen. Mehr verlange ich jetzt nicht; denn wenn er sich bei dieser | ||||||
35 | Beschäftigung nur allererst tief gnug in die Natur der reinen Vernunft | ||||||
36 | hinein gedacht hat, so werden die Begriffe, durch welche die Auflösung des | ||||||
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