Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 297 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Es ist indessen doch schicklicher, die erstere Formel zu wählen. Denn | ||||||
02 | da wir wohl a priori und vor allen gegebenen Gegenständen eine Erkenntniß | ||||||
03 | derjenigen Bedingungen haben können, unter denen allein eine Erfahrung | ||||||
04 | in Ansehung ihrer möglich ist, niemals aber, welchen Gesetzen sie | ||||||
05 | ohne Beziehung auf mögliche Erfahrung an sich selbst unterworfen sein | ||||||
06 | mögen, so werden wir die Natur der Dinge a priori nicht anders studiren | ||||||
07 | können, als daß wir die Bedingungen und allgemeine (obgleich subjective) | ||||||
08 | Gesetze erforschen, unter denen allein ein solches Erkenntniß als Erfahrung | ||||||
09 | (der bloßen Form nach) möglich ist, und darnach die Möglichkeit der | ||||||
10 | Dinge als Gegenstände der Erfahrung bestimmen; denn würde ich die | ||||||
11 | zweite Art des Ausdrucks wählen und die Bedingungen a priori suchen, | ||||||
12 | unter denen Natur als Gegenstand der Erfahrung möglich ist, so | ||||||
13 | würde ich leichtlich in Mißverstand gerathen können und mir einbilden, | ||||||
14 | ich hätte von der Natur als einem Dinge an sich selbst zu reden, und da | ||||||
15 | würde ich fruchtlos in endlosen Bemühungen herumgetrieben werden, für | ||||||
16 | Dinge, von denen mir nichts gegeben ist, Gesetze zu suchen. | ||||||
17 | Wir werden es also hier blos mit der Erfahrung und den allgemeinen | ||||||
18 | und a priori gegebenen Bedingungen ihrer Möglichkeit zu thun haben und | ||||||
19 | daraus die Natur als den ganzen Gegenstand aller möglichen Erfahrung | ||||||
20 | bestimmen. Ich denke, man werde mich verstehen, daß ich hier nicht die | ||||||
21 | Regeln der Beobachtung einer Natur, die schon gegeben ist, verstehe, | ||||||
22 | die setzen schon Erfahrung voraus; also nicht, wie wir (durch Erfahrung) | ||||||
23 | der Natur die Gesetze ablernen können, denn diese wären alsdann nicht | ||||||
24 | Gesetze a priori und gäben keine reine Naturwissenschaft; sondern wie die | ||||||
25 | Bedingungen a priori von der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die | ||||||
26 | Quellen sind, aus denen alle allgemeine Naturgesetze hergeleitet werden | ||||||
27 | müssen. | ||||||
28 | § 18. |
||||||
29 | Wir müssen denn also zuerst bemerken: daß, obgleich alle Erfahrungsurtheile | ||||||
30 | empirisch sind, d. i. ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung | ||||||
31 | der Sinne haben, dennoch nicht umgekehrt alle empirische Urtheile | ||||||
32 | darum Erfahrungsurtheile sind, sondern daß über das empirische und | ||||||
33 | überhaupt über das der sinnlichen Anschauung Gegebene noch besondere | ||||||
34 | Begriffe hinzukommen müssen, die ihren Ursprung gänzlich a priori im | ||||||
35 | reinen Verstande haben, unter die jede Wahrnehmung allererst subsumirt | ||||||
36 | und dann vermittelst derselben in Erfahrung kann verwandelt werden. | ||||||
[ Seite 296 ] [ Seite 298 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |