Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 281 |
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Text (Kant):
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01 | § 7. |
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02 | Wir finden aber, daß alle mathematische Erkenntniß dieses Eigenthümliche | ||||||
03 | habe, daß sie ihren Begriff vorher in der Anschauung und | ||||||
04 | zwar a priori, mithin einer solchen, die nicht empirisch, sondern reine Anschauung | ||||||
05 | ist, darstellen müsse, ohne welches Mittel sie nicht einen einzigen | ||||||
06 | Schritt thun kann; daher ihre Urtheile jederzeit intuitiv sind, an statt | ||||||
07 | daß Philosophie sich mit discursiven Urtheilen, aus bloßen Begriffen, | ||||||
08 | begnügen muß und ihre apodiktische Lehren wohl durch Anschauung erläutern, | ||||||
09 | niemals aber daher ableiten kann. Diese Beobachtung in Ansehung | ||||||
10 | der Natur der Mathematik giebt uns nun schon eine Leitung auf | ||||||
11 | die erste und oberste Bedingung ihrer Möglichkeit: nämlich es muß ihr | ||||||
12 | irgend eine reine Anschauung zum Grunde liegen, in welcher sie alle | ||||||
13 | ihre Begriffe in concreto und dennoch a priori darstellen oder, wie man | ||||||
14 | es nennt, sie construiren kann.*) Können wir diese reine Anschauung | ||||||
15 | und die Möglichkeit einer solchen ausfinden, so erklärt sich daraus leicht, | ||||||
16 | wie synthetische Sätze a priori in der reinen Mathematik, und mithin auch, | ||||||
17 | wie diese Wissenschaft selbst möglich sei; denn so wie die empirische Anschauung | ||||||
18 | es ohne Schwierigkeit möglich macht, daß wir unseren Begriff, | ||||||
19 | den wir uns von einem Object der Anschauung machen, durch neue Prädicate, | ||||||
20 | die die Anschauung selbst darbietet, in der Erfahrung synthetisch | ||||||
21 | erweitern, so wird es auch die reine Anschauung thun; nur mit dem Unterschiede: | ||||||
22 | daß im letztern Falle das synthetische Urtheil a priori gewiß und | ||||||
23 | apodiktisch, im ersteren aber nur a posteriori und empirisch gewiß sein | ||||||
24 | wird, weil diese nur das enthält, was in der zufälligen empirischen Anschauung | ||||||
25 | angetroffen wird, jene aber, was in der reinen nothwendig angetroffen | ||||||
26 | werden muß, indem sie als Anschauung a priori mit dem Begriffe | ||||||
27 | vor aller Erfahrung oder einzelnen Wahrnehmung unzertrennlich | ||||||
28 | verbunden ist. | ||||||
29 | § 8. |
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30 | Allein die Schwierigkeit scheint bei diesem Schritte eher zu wachsen, | ||||||
31 | als abzunehmen. Denn nunmehr lautet die Frage: wie ist es möglich, | ||||||
32 | etwas a priori anzuschauen? Anschauung ist eine Vorstellung, so wie | ||||||
33 | sie unmittelbar von der Gegenwart des Gegenstandes abhängen würde. | ||||||
34 | Daher scheint es unmöglich, a priori ursprünglich anzuschauen, weil | ||||||
35 | *) Siehe Kritik S. 713. | ||||||
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