Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 222 |
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01 | Kritik des zweiten Paralogisms der transscendentalen |
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02 | Psychologie. |
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03 | Dies ist der Achilles aller dialektischen Schlüsse der reinen Seelenlehre, | ||||||
04 | nicht etwa blos ein sophistisches Spiel, welches ein Dogmatiker erkünstelt, | ||||||
05 | um seinen Behauptungen einen flüchtigen Schein zu geben, sondern | ||||||
06 | ein Schluß, der sogar die schärfste Prüfung und die größte Bedenklichkeit | ||||||
07 | des Nachforschens auszuhalten scheint. Hier ist er. | ||||||
08 | Eine jede zusammengesetzte Substanz ist ein Aggregat vieler, und | ||||||
09 | die Handlung eines Zusammengesetzten oder das, was ihm als einem | ||||||
10 | solchen inhärirt, ist ein Aggregat vieler Handlungen oder Accidenzen, | ||||||
11 | welche unter der Menge der Substanzen vertheilt sind. Nun ist zwar eine | ||||||
12 | Wirkung, die aus der Concurrenz vieler handelnden Substanzen entspringt, | ||||||
13 | möglich, wenn diese Wirkung blos äußerlich ist (wie z. B. die Bewegung | ||||||
14 | eines Körpers die vereinigte Bewegung aller seiner Theile ist). Allein mit | ||||||
15 | Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Wesen gehörigen Accidenzen, | ||||||
16 | ist es anders beschaffen. Denn setzet, das Zusammengesetzte dächte: so | ||||||
17 | würde ein jeder Theil desselben einen Theil des Gedanken, alle aber zusammengenommen | ||||||
18 | allererst den ganzen Gedanken enthalten. Nun ist dieses | ||||||
19 | aber widersprechend. Denn weil die Vorstellungen, die unter verschiedenen | ||||||
20 | Wesen vertheilt sind, (z. B. die einzelne Wörter eines Verses) niemals | ||||||
21 | einen ganzen Gedanken (einen Vers) ausmachen: so kann der Gedanke | ||||||
22 | nicht einem Zusammengesetzten als einem solchen inhäriren. Er ist also | ||||||
23 | nur in einer Substanz möglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin | ||||||
24 | schlechterdings einfach ist*). | ||||||
25 | Der so genannte nervus probandi dieses Arguments liegt in dem | ||||||
26 | Satze: daß viele Vorstellungen in der absoluten Einheit des denkenden | ||||||
27 | Subjects enthalten sein müssen, um einen Gedanken auszumachen. Diesen | ||||||
28 | Satz aber kann niemand aus Begriffen beweisen. Denn wie wollte er | ||||||
29 | es wohl anfangen, um dieses zu leisten? Der Satz: Ein Gedanke kann nur | ||||||
30 | die Wirkung der absoluten Einheit des denkenden Wesens sein, kann nicht | ||||||
31 | als analytisch behandelt werden. Denn die Einheit des Gedanken, der | ||||||
32 | aus vielen Vorstellungen besteht, ist collectiv und kann sich den bloßen Begriffen | ||||||
*) Es ist sehr leicht, diesem Beweise die gewöhnliche schulgerechte Abgemessenheit der Einkleidung zu geben. Allein es ist zu meinem Zwecke schon hinreichend, den bloßen Beweisgrund allenfalls auf populäre Art vor Augen zu legen. | |||||||
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