Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 043

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Was es für eine Bewandtniß mit den Gegenständen an sich und abgesondert      
  02 von aller dieser Receptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt      
  03 uns gänzlich unbekannt. Wir kennen nichts als unsere Art, sie wahrzunehmen,      
  04 die uns eigenthümlich ist, die auch nicht nothwendig jedem Wesen,      
  05 obzwar jedem Menschen zukommen muß. Mit dieser haben wir es lediglich      
  06 zu thun. Raum und Zeit sind die reine Formen derselben, Empfindung      
  07 überhaupt die Materie. Jene können wir allein a priori, d. i. vor      
  08 aller wirklichen Wahrnehmung, erkennen, und sie heißt darum reine Anschauung;      
  09 diese aber ist das in unserm Erkenntniß, was da macht, daß es      
  10 Erkenntniß a posteriori, d. i. empirische Anschauung, heißt. Jene hängen      
  11 unsrer Sinnlichkeit schlechthin nothwendig an, welcher Art auch unsere      
  12 Empfindungen sein mögen; diese können sehr verschieden sein. Wenn wir      
  13 diese unsre Anschauung auch zum höchsten Grade der Deutlichkeit bringen      
  14 könnten, so würden wir dadurch der Beschaffenheit der Gegenstände an      
  15 sich selbst nicht näher kommen. Denn wir würden auf allen Fall doch      
  16 nur unsre Art der Anschauung, d. i. unsere Sinnlichkeit, vollständig erkennen      
  17 und diese immer nur unter den dem Subject ursprünglich anhängenden      
  18 Bedingungen von Raum und Zeit; was die Gegenstände an sich      
  19 selbst sein mögen, würde uns durch die aufgeklärteste Erkenntniß der Erscheinung      
  20 derselben, die uns allein gegeben ist, doch niemals bekannt      
  21 werden.      
           
  22 Daß daher unsere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene Vorstellung      
  23 der Dinge sei, welche lediglich das enthält, was ihnen an sich      
  24 selbst zukommt, aber nur unter einer Zusammenhäufung von Merkmalen      
  25 und Theilvorstellungen, die wir nicht mit Bewußtsein auseinander setzen,      
  26 ist eine Verfälschung des Begriffs von Sinnlichkeit und von Erscheinung,      
  27 welche die ganze Lehre derselben unnütz und leer macht. Der Unterschied      
  28 einer undeutlichen von der deutlichen Vorstellung ist blos logisch und betrifft      
  29 nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthält der Begriff von Recht,      
  30 dessen sich der gesunde Verstand bedient, eben dasselbe, was die subtilste      
  31 Speculation aus ihm entwickeln kann, nur daß im gemeinen und praktischen      
  32 Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesem      
  33 Gedanken nicht bewußt ist. Darum kann man nicht sagen, daß der gemeine      
  34 Begriff sinnlich sei und eine bloße Erscheinung enthalte; denn das      
  35 Recht kann gar nicht erscheinen, sondern sein Begriff liegt im Verstande      
  36 und stellt eine Beschaffenheit (die moralische) der Handlungen vor, die      
  37 ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthält die Vorstellung eines      
           
     

[ Seite 042 ] [ Seite 044 ] [ Inhaltsverzeichnis ]