Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 512 |
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| 01 | man die Grundsätze nehmen wolle, auf welche man sie zu errichten gedenkt, | ||||||
| 02 | und mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der | ||||||
| 03 | Schlüsse erwarten könne. Sind es Grundsätze des Verstandes (z. B. der | ||||||
| 04 | Causalität), so ist es umsonst, vermittelst ihrer zu Ideen der reinen Vernunft | ||||||
| 05 | zu gelangen; denn jene gelten nur für Gegenstände möglicher Erfahrung. | ||||||
| 06 | Sollen es Grundsätze aus reiner Vernunft sein, so ist wiederum | ||||||
| 07 | alle Mühe umsonst. Denn die Vernunft hat deren zwar, aber als objective | ||||||
| 08 | Grundsätze sind sie insgesammt dialektisch und können allenfalls nur | ||||||
| 09 | wie regulative Principien des systematisch zusammenhängenden Erfahrungsgebrauchs | ||||||
| 10 | gültig sein. Sind aber dergleichen angebliche Beweise | ||||||
| 11 | schon vorhanden: so setzet der trüglichen Überzeugung das non liquet eurer | ||||||
| 12 | gereiften Urtheilskraft entgegen; und ob ihr gleich das Blendwerk derselben | ||||||
| 13 | noch nicht durchdringen könnt, so habt ihr doch völliges Recht, die Deduction | ||||||
| 14 | der darin gebrauchten Grundsätze zu verlangen, welche, wenn sie | ||||||
| 15 | aus bloßer Vernunft entsprungen sein sollen, euch niemals geschafft werden | ||||||
| 16 | kann. Und so habt ihr nicht einmal nöthig, euch mit der Entwickelung | ||||||
| 17 | und Widerlegung eines jeden grundlosen Scheins zu befassen, sondern | ||||||
| 18 | könnt alle an Kunstgriffen unerschöpfliche Dialektik am Gerichtshofe einer | ||||||
| 19 | kritischen Vernunft, welche Gesetze verlangt, in ganzen Haufen auf einmal | ||||||
| 20 | abweisen. | ||||||
| 21 | Die zweite Eigenthümlichkeit transscendentaler Beweise ist diese: | ||||||
| 22 | daß zu jedem transscendentalen Satze nur ein einziger Beweis gefunden | ||||||
| 23 | werden könne. Soll ich nicht aus Begriffen, sondern aus der Anschauung, | ||||||
| 24 | die einem Begriffe correspondirt, es sei nun eine reine Anschauung, wie | ||||||
| 25 | in der Mathematik, oder empirische, wie in der Naturwissenschaft, schließen: | ||||||
| 26 | so giebt mir die zum Grunde gelegte Anschauung mannigfaltigen | ||||||
| 27 | Stoff zu synthetischen Sätzen, welchen ich auf mehr als eine Art verknüpfen | ||||||
| 28 | und, indem ich von mehr als einem Punkte ausgehen darf, durch verschiedene | ||||||
| 29 | Wege zu demselben Satze gelangen kann. | ||||||
| 30 | Nun geht aber ein jeder transscendentale Satz bloß von Einem Begriffe | ||||||
| 31 | aus und sagt die synthetische Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes | ||||||
| 32 | nach diesem Begriffe. Der Beweisgrund kann also nur ein einziger | ||||||
| 33 | sein, weil außer diesem Begriffe nichts weiter ist, wodurch der Gegenstand | ||||||
| 34 | bestimmt werden könnte, der Beweis also nichts weiter als die Bestimmung | ||||||
| 35 | eines Gegenstandes überhaupt nach diesem Begriffe, der auch nur | ||||||
| 36 | ein einziger ist, enthalten kann. Wir hatten z. B. in der transscendentalen | ||||||
| 37 | Analytik den Grundsatz: alles, was geschieht, hat eine Ursache, aus | ||||||
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