Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 444 |
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| 01 | Ich will dieses deutlicher machen. Wir wollen den genannten Ideen | ||||||
| 02 | als Principien zu Folge erstlich (in der Psychologie) alle Erscheinungen, | ||||||
| 03 | Handlungen und Empfänglichkeit unseres Gemüths an dem Leitfaden der | ||||||
| 04 | inneren Erfahrung so verknüpfen, als ob dasselbe eine einfache Substanz | ||||||
| 05 | wäre, die mit persönlicher Identität beharrlich (wenigstens im Leben) | ||||||
| 06 | existirt, indessen daß ihre Zustände, zu welchen die des Körpers nur als | ||||||
| 07 | äußere Bedingungen gehören, continuirlich wechseln. Wir müssen zweitens | ||||||
| 08 | (in der Kosmologie) die Bedingungen der inneren sowohl als | ||||||
| 09 | der äußeren Naturerscheinungen in einer solchen nirgend zu vollendenden | ||||||
| 10 | Untersuchung verfolgen, als ob dieselbe an sich unendlich und ohne ein | ||||||
| 11 | erstes oder oberstes Glied sei, obgleich wir darum außerhalb aller Erscheinungen | ||||||
| 12 | die bloß intelligibelen ersten Gründe derselben nicht leugnen, | ||||||
| 13 | aber sie doch niemals in den Zusammenhang der Naturerklärungen bringen | ||||||
| 14 | dürfen, weil wir sie gar nicht kennen. Endlich und drittens müssen wir | ||||||
| 15 | (in Ansehung der Theologie) alles, was nur immer in den Zusammenhang | ||||||
| 16 | der möglichen Erfahrung gehören mag, so betrachten, als ob diese | ||||||
| 17 | eine absolute, aber durch und durch abhängige und immer noch innerhalb | ||||||
| 18 | der Sinnenwelt bedingte Einheit ausmache, doch aber zugleich, als ob | ||||||
| 19 | der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen einzigen | ||||||
| 20 | obersten und allgenugsamen Grund außer ihrem Umfange habe, nämlich | ||||||
| 21 | eine gleichsam selbstständige, ursprüngliche und schöpferische Vernunft, in | ||||||
| 22 | Beziehung auf welche wir allen empirischen Gebrauch unserer Vernunft | ||||||
| 23 | in seiner größten Erweiterung so richten, als ob die Gegenstände selbst | ||||||
| 24 | aus jenem Urbilde aller Vernunft entsprungen wären. Das heißt: nicht | ||||||
| 25 | von einer einfachen, denkenden Substanz die innern Erscheinungen der | ||||||
| 26 | Seele, sondern nach der Idee eines einfachen Wesens jene von einander | ||||||
| 27 | ableiten; nicht von einer höchsten Intelligenz die Weltordnung und systematische | ||||||
| 28 | Einheit derselben ableiten, sondern von der Idee einer höchstweisen | ||||||
| 29 | Ursache die Regel hernehmen, nach welcher die Vernunft bei der | ||||||
| 30 | Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen in der Welt zu ihrer eigenen | ||||||
| 31 | Befriedigung am besten zu brauchen sei. | ||||||
| 32 | Nun ist nicht das Mindeste, was uns hindert, diese Ideen auch als | ||||||
| 33 | objectiv und hypostatisch anzunehmen, außer allein die kosmologische, | ||||||
| 34 | wo die Vernunft auf eine Antinomie stößt, wenn sie solche zu Stande | ||||||
| 35 | bringen will (die psychologische und theologische enthalten dergleichen gar | ||||||
| 36 | nicht). Denn ein Widerspruch ist in ihnen nicht; wie sollte uns daher | ||||||
| 37 | jemand ihre objective Realität streiten können, da er von ihrer Möglichkeit | ||||||
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