Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 431 |
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| 01 | einer und derselben Kraft sind, welche (comparativ) ihre Grundkraft | ||||||
| 02 | heißen kann. Eben so verfährt man mit den übrigen. | ||||||
| 03 | Die comparativen Grundkräfte müssen wiederum unter einander verglichen | ||||||
| 04 | werden, um sie dadurch, daß man ihre Einhelligkeit entdeckt, einer | ||||||
| 05 | einzigen radicalen, d. i. absoluten, Grundkraft nahe zu bringen. Diese | ||||||
| 06 | Vernunfteinheit aber ist bloß hypothetisch. Man behauptet nicht, daß eine | ||||||
| 07 | solche in der That angetroffen werden müsse, sondern daß man sie zu | ||||||
| 08 | Gunsten der Vernunft, nämlich zu Errichtung gewisser Principien, für die | ||||||
| 09 | mancherlei Regeln, die die Erfahrung an die Hand geben mag, suchen | ||||||
| 10 | und, wo es sich thun läßt, auf solche Weise systematische Einheit ins Erkenntniß | ||||||
| 11 | bringen müsse. | ||||||
| 12 | Es zeigt sich aber, wenn man auf den transscendentalen Gebrauch | ||||||
| 13 | des Verstandes Acht hat, daß diese Idee einer Grundkraft überhaupt nicht | ||||||
| 14 | bloß als Problem zum hypothetischen Gebrauche bestimmt sei, sondern | ||||||
| 15 | objective Realität vorgebe, dadurch die systematische Einheit der mancherlei | ||||||
| 16 | Kräfte einer Substanz postulirt und ein apodiktisches Vernunftprincip | ||||||
| 17 | errichtet wird. Denn ohne daß wir einmal die Einhelligkeit der mancherlei | ||||||
| 18 | Kräfte versucht haben, ja selbst wenn es uns nach allen Versuchen mißlingt, | ||||||
| 19 | sie zu entdecken, setzen wir doch voraus: es werde eine solche anzutreffen | ||||||
| 20 | sein; und dieses nicht allein, wie in dem angeführten Falle wegen | ||||||
| 21 | der Einheit der Substanz; sondern wo sogar viele, obzwar in gewissem | ||||||
| 22 | Grade gleichartige, angetroffen werden, wie an der Materie überhaupt, | ||||||
| 23 | setzt die Vernunft systematische Einheit mannigfaltiger Kräfte voraus, da | ||||||
| 24 | besondere Naturgesetze unter allgemeineren stehen, und die Ersparung der | ||||||
| 25 | Principien nicht bloß ein ökonomischer Grundsatz der Vernunft, sondern | ||||||
| 26 | inneres Gesetz der Natur wird. | ||||||
| 27 | In der That ist auch nicht abzusehen, wie ein logisches Princip der | ||||||
| 28 | Vernunfteinheit der Regeln stattfinden könne, wenn nicht ein transscendentales | ||||||
| 29 | vorausgesetzt würde, durch welches eine solche systematische Einheit, | ||||||
| 30 | als den Objecten selbst anhängend, a priori als nothwendig angenommen | ||||||
| 31 | wird. Denn mit welcher Befugniß kann die Vernunft im logischen | ||||||
| 32 | Gebrauche verlangen, die Mannigfaltigkeit der Kräfte, welche uns die | ||||||
| 33 | Natur zu erkennen giebt, als eine bloß versteckte Einheit zu behandeln und | ||||||
| 34 | sie aus irgend einer Grundkraft, so viel an ihr ist, abzuleiten, wenn es ihr | ||||||
| 35 | freistände zuzugeben, daß es eben so wohl möglich sei, alle Kräfte wären | ||||||
| 36 | ungleichartig, und die systematische Einheit ihrer Ableitung der Natur | ||||||
| 37 | nicht gemäß? Denn alsdann würde sie gerade wider ihre Bestimmung | ||||||
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