Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 391 |
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01 | Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft und ihre Dialektik | ||||||
02 | zu beschreiben, man muß auch die Quellen derselben zu entdecken suchen, | ||||||
03 | um diesen Schein selbst wie ein Phänomen des Verstandes erklären zu | ||||||
04 | können; denn das Ideal, wovon wir reden, ist auf einer natürlichen und | ||||||
05 | nicht bloß willkürlichen Idee gegründet. Daher frage ich: wie kommt die | ||||||
06 | Vernunft dazu, alle Möglichkeit der Dinge als abgeleitet von einer einzigen, | ||||||
07 | die zum Grunde liegt, nämlich der der höchsten Realität, anzusehen | ||||||
08 | und diese sodann als in einem besondern Urwesen enthalten vorauszusetzen? | ||||||
10 | Die Antwort bietet sich aus den Verhandlungen der transscendentalen | ||||||
11 | Analytik von selbst dar. Die Möglichkeit der Gegenstände der Sinne | ||||||
12 | ist ein Verhältniß derselben zu unserm Denken, worin etwas (nämlich die | ||||||
13 | empirische Form) a priori gedacht werden kann, dasjenige aber, was die | ||||||
14 | Materie ausmacht, die Realität in der Erscheinung (was der Empfindung | ||||||
15 | entspricht), gegeben sein muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht und | ||||||
16 | mithin seine Möglichkeit nicht vorgestellt werden könnte. Nun kann ein | ||||||
17 | Gegenstand der Sinne nur durchgängig bestimmt werden, wenn er mit | ||||||
18 | allen Prädicaten der Erscheinung verglichen und durch dieselbe bejahend | ||||||
19 | oder verneinend vorgestellt wird. Weil aber darin dasjenige, was das | ||||||
20 | Ding selbst (in der Erscheinung) ausmacht, nämlich das Reale, gegeben | ||||||
21 | sein muß, ohne welches es auch gar nicht gedacht werden könnte; dasjenige | ||||||
22 | aber, worin das Reale aller Erscheinungen gegeben ist, die einige allbefassende | ||||||
23 | Erfahrung ist: so muß die Materie zur Möglichkeit aller Gegenstände | ||||||
24 | der Sinne als in einem Inbegriffe gegeben vorausgesetzt werden, | ||||||
25 | auf dessen Einschränkung allein alle Möglichkeit empirischer Gegenstände, | ||||||
26 | ihr Unterschied von einander und ihre durchgängige Bestimmung beruhen | ||||||
27 | kann. Nun können uns in der That keine andere Gegenstände als die der | ||||||
28 | Sinne und nirgend als in dem Context einer möglichen Erfahrung gegeben | ||||||
29 | werden, folglich ist nichts für uns ein Gegenstand, wenn es nicht | ||||||
30 | den Inbegriff aller empirischen Realität als Bedingung seiner Möglichkeit | ||||||
31 | voraussetzt. Nach einer natürlichen Illusion sehen wir nun das für | ||||||
32 | einen Grundsatz an, der von allen Dingen überhaupt gelten müsse, welcher | ||||||
33 | eigentlich nur von denen gilt, die als Gegenstände unserer Sinne gegeben | ||||||
34 | werden. Folglich werden wir das empirische Princip unserer Begriffe der | ||||||
35 | Möglichkeit der Dinge als Erscheinungen durch Weglassung dieser Einschränkung | ||||||
36 | für ein transscendentales Princip der Möglichkeit der Dinge | ||||||
37 | überhaupt halten. | ||||||
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