Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 389 |
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| 01 | des Gegenstandes durch eins der Glieder dieser Theilung im Untersatze | ||||||
| 02 | übereinkommt. Demnach ist der Gebrauch der Vernunft, durch den | ||||||
| 03 | sie das transscendentale Ideal zum Grunde ihrer Bestimmung aller möglichen | ||||||
| 04 | Dinge legt, demjenigen analogisch, nach welchem sie in disjunctiven | ||||||
| 05 | Vernunftschlüssen verfährt; welches der Satz war, den ich oben zum Grunde | ||||||
| 06 | der systematischen Eintheilung aller transscendentalen Ideen legte, nach | ||||||
| 07 | welchem sie den drei Arten von Vernunftschlüssen parallel und correspondirend | ||||||
| 08 | erzeugt werden. | ||||||
| 09 | Es versteht sich von selbst, daß die Vernunft zu dieser ihrer Absicht, | ||||||
| 10 | nämlich sich lediglich die nothwendige durchgängige Bestimmung der Dinge | ||||||
| 11 | vorzustellen, nicht die Existenz eines solchen Wesens, das dem ideale gemäß | ||||||
| 12 | ist, sondern nur die Idee desselben voraussetze, um von einer unbedingten | ||||||
| 13 | Totalität der durchgängigen Bestimmung die bedingte, d. i. die | ||||||
| 14 | des Eingeschränkten, abzuleiten. Das Ideal ist ihr also das Urbild ( Prototypon ) | ||||||
| 15 | aller Dinge, welche insgesammt als mangelhafte Copeien ( ectypa ) | ||||||
| 16 | den Stoff zu ihrer Möglichkeit daher nehmen und, indem sie demselben | ||||||
| 17 | mehr oder weniger nahe kommen, dennoch jederzeit unendlich weit daran | ||||||
| 18 | fehlen, es zu erreichen. | ||||||
| 19 | So wird denn alle Möglichkeit der Dinge (der Synthesis des Mannigfaltigen | ||||||
| 20 | ihrem Inhalte nach) als abgeleitet und nur allein die desjenigen, | ||||||
| 21 | was alle Realität in sich schließt, als ursprünglich angesehen. | ||||||
| 22 | Denn alle Verneinungen (welche doch die einzigen Prädicate sind, wodurch | ||||||
| 23 | sich alles andere vom realsten Wesen unterscheiden läßt) sind bloße Einschränkungen | ||||||
| 24 | einer größeren und endlich der höchsten Realität, mithin setzen | ||||||
| 25 | sie diese voraus und sind dem Inhalte nach von ihr bloß abgeleitet. Alle | ||||||
| 26 | Mannigfaltigkeit der Dinge ist nur eine eben so vielfältige Art, den Begriff | ||||||
| 27 | der höchsten Realität, der ihr gemeinschaftliches Substratum ist, einzuschränken, | ||||||
| 28 | so wie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den unendlichen | ||||||
| 29 | Raum einzuschränken, möglich sind. Daher wird der bloß in der Vernunft | ||||||
| 30 | befindliche Gegenstand ihres Ideals auch das Urwesen ( ens originarium ), | ||||||
| 31 | so fern es keines über sich hat, das höchste Wesen ( ens summum ), und | ||||||
| 32 | so fern alles als bedingt unter ihm steht, das Wesen aller Wesen ( ens | ||||||
| 33 | entium ) genannt. Alles dieses aber bedeutet nicht das objective Verhältniß | ||||||
| 34 | eines wirklichen Gegenstandes zu andern Dingen, sondern der Idee | ||||||
| 35 | zu Begriffen und läßt uns wegen der Existenz eines Wesens von so ausnehmendem | ||||||
| 36 | Vorzuge in völliger Unwissenheit. | ||||||
| 37 | Weil man auch nicht sagen kann, daß ein Urwesen aus viel abgeleiteten | ||||||
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