Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 259 |
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01 | auf den Begriff der absoluten Einheit des denkenden Subjects kommen | ||||||
02 | müsse, wie das logische Verfahren in hypothetischen die Idee vom | ||||||
03 | Schlechthin=Unbedingten in einer Reihe gegebener Bedingungen, endlich | ||||||
04 | die bloße Form des disjunctiven Vernunftschlusses den höchsten Vernunftbegriff | ||||||
05 | von einem Wesen aller Wesen nothwendiger Weise nach sich | ||||||
06 | ziehen müsse: ein Gedanke, der beim ersten Anblick äußerst paradox zu | ||||||
07 | sein scheint. | ||||||
08 | Von diesen transscendentalen Ideen ist eigentlich keine objective | ||||||
09 | Deduction möglich, so wie wir sie von den Kategorien liefern konnten. | ||||||
10 | Denn in der That haben sie keine Beziehung auf irgend ein Object, was | ||||||
11 | ihnen congruent gegeben werden könnte, eben darum weil sie nur Ideen | ||||||
12 | sind. Aber eine subjective Ableitung derselben aus der Natur unserer | ||||||
13 | Vernunft konnten wir unternehmen; und die ist im gegenwärtigen Hauptstücke | ||||||
14 | auch geleistet worden. | ||||||
15 | Man sieht leicht, daß die reine Vernunft nichts anders zur Absicht | ||||||
16 | habe, als die absolute Totalität der Synthesis auf der Seite der Bedingungen | ||||||
17 | (es sei der Inhärenz oder der Dependenz oder der Concurrenz), | ||||||
18 | und daß sie mit der absoluten Vollständigkeit von Seiten des | ||||||
19 | Bedingten nichts zu schaffen habe. Denn nur allein jener bedarf sie, | ||||||
20 | um die ganze Reihe der Bedingungen vorauszusetzen und sie dadurch dem | ||||||
21 | Verstande a priori zu geben. Ist aber eine vollständig (und unbedingt) | ||||||
22 | gegebene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht mehr eines Vernunftbegriffs | ||||||
23 | in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der Verstand thut | ||||||
24 | jeden Schritt abwärts von der Bedingung zum Bedingten von selber. Auf | ||||||
25 | solche Weise dienen die transscendentalen Ideen nur zum Aufsteigen in | ||||||
26 | der Reihe der Bedingungen bis zum Unbedingten, d. i. zu den Principien. | ||||||
27 | In Ansehung des Hinabgehens zum Bedingten aber giebt es zwar | ||||||
28 | einen weit erstreckten logischen Gebrauch, den unsere Vernunft von den | ||||||
29 | Verstandesgesetzen macht, aber gar keinen transscendentalen; und wenn | ||||||
30 | wir uns von der absoluten Totalität einer solchen Synthesis (des progressus ) | ||||||
31 | eine Idee machen, z. B. von der ganzen Reihe aller künftigen | ||||||
32 | Weltveränderungen, so ist dieses ein Gedankending ( ens rationis ), welches | ||||||
33 | nur willkürlich gedacht und nicht durch die Vernunft nothwendig vorausgesetzt | ||||||
34 | wird. Denn zur Möglichkeit des Bedingten wird zwar die Totalität | ||||||
35 | seiner Bedingungen, aber nicht seiner Folgen vorausgesetzt. Folglich | ||||||
36 | ist ein solcher Begriff keine transscendentale Idee, mit der wir es doch | ||||||
37 | hier lediglich zu thun haben. | ||||||
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