Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 213 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | von dem Sinne der Alten ganz abweicht, und wobei es freilich keine | ||||||
| 02 | Schwierigkeit hat, aber auch nichts als leere Wortkrämerei angetroffen | ||||||
| 03 | wird. Nach demselben hat es einigen beliebt, den Inbegriff der Erscheinungen, | ||||||
| 04 | sofern er angeschaut wird, die Sinnenwelt, sofern aber der Zusammenhang | ||||||
| 05 | derselben nach allgemeinen Verstandesgesetzen gedacht wird, | ||||||
| 06 | die Verstandeswelt zu nennen. Die theoretische Astronomie, welche die | ||||||
| 07 | bloße Beobachtung des bestirnten Himmels vorträgt, würde die erstere, die | ||||||
| 08 | contemplative dagegen (etwa nach dem Copernicanischen Weltsystem, | ||||||
| 09 | oder gar nach Newtons Gravitationsgesetzen erklärt) die zweite, nämlich | ||||||
| 10 | eine intelligibele Welt, vorstellig machen. Aber eine solche Wortverdrehung | ||||||
| 11 | ist eine bloße sophistische Ausflucht, um einer beschwerlichen Frage auszuweichen, | ||||||
| 12 | dadurch daß man ihren Sinn zu seiner Gemächlichkeit herabstimmt. | ||||||
| 13 | In Ansehung der Erscheinungen läßt sich allerdings Verstand | ||||||
| 14 | und Vernunft brauchen; aber es frägt sich, ob diese auch noch einigen Gebrauch | ||||||
| 15 | haben, wenn der Gegenstand nicht Erscheinung (Noumenon) ist, | ||||||
| 16 | und in diesem Sinne nimmt man ihn, wenn er an sich als bloß intelligibel, | ||||||
| 17 | d. i. dem Verstande allein und gar nicht den Sinnen gegeben, gedacht wird. | ||||||
| 18 | Es ist also die Frage: ob außer jenem empirischen Gebrauche des Verstandes | ||||||
| 19 | (selbst in der Newtonischen Vorstellung des Weltbaues) noch | ||||||
| 20 | ein transscendentaler möglich sei, der auf das Noumenon als einen Gegenstand | ||||||
| 21 | gehe, welche Frage wir verneinend beantwortet haben. | ||||||
| 22 | Wenn wir denn also sagen: die Sinne stellen uns die Gegenstände | ||||||
| 23 | vor, wie sie erscheinen, der Verstand aber, wie sie sind, so ist das | ||||||
| 24 | letztere nicht in transscendentaler, sondern bloß empirischer Bedeutung zu | ||||||
| 25 | nehmen, nämlich wie sie als Gegenstände der Erfahrung im durchgängigen | ||||||
| 26 | Zusammenhange der Erscheinungen müssen vorgestellt werden und nicht | ||||||
| 27 | nach dem, was sie außer der Beziehung auf mögliche Erfahrung und folglich | ||||||
| 28 | auf Sinne überhaupt, mithin als Gegenstände des reinen Verstandes | ||||||
| 29 | sein mögen. Denn dieses wird uns immer unbekannt bleiben, so gar, daß | ||||||
| 30 | es auch unbekannt bleibt, ob eine solche transscendentale (außerordentliche) | ||||||
| 31 | Erkenntniß überall möglich sei, zum wenigsten als eine solche, die unter | ||||||
| 32 | unseren gewöhnlichen Kategorien steht. Verstand und Sinnlichkeit | ||||||
| 33 | können bei uns nur in Verbindung Gegenstände bestimmen. Wenn | ||||||
| 34 | wir sie trennen, so haben wir Anschauungen ohne Begriffe, oder Begriffe | ||||||
| 35 | ohne Anschauungen, in beiden Fällen aber Vorstellungen, die wir auf | ||||||
| 36 | keinen bestimmten Gegenstand beziehen können. | ||||||
| 37 | Wenn jemand noch Bedenken trägt, auf alle diese Erörterungen dem | ||||||
| [ Seite 212 ] [ Seite 214 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||