Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 037

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bei sich führen, welche aus Erfahrung nicht abgenommen werden      
  02 kann. Will man aber dieses nicht einräumen, wohlan, so schränke ich      
  03 meinen Satz auf die reine Mathematik ein, deren Begriff es schon mit      
  04 sich bringt, daß sie nicht empirische, sondern bloß reine Erkenntniß a priori      
  05 enthalte.      
           
  06 Man sollte anfänglich zwar denken: daß der Satz 7+5 = 12 ein      
  07 bloß analytischer Satz sei, der aus dem Begriffe einer Summe von Sieben      
  08 und Fünf nach dem Satze des Widerspruches erfolge. Allein wenn man      
  09 es näher betrachtet, so findet man, daß der Begriff der Summe von 7 und      
  10 5 nichts weiter enthalte, als die Vereinigung beider Zahlen in eine einzige,      
  11 wodurch ganz und gar nicht gedacht wird, welches diese einzige Zahl      
  12 sei, die beide zusammenfaßt. Der Begriff von Zwölf ist keinesweges dadurch      
  13 schon gedacht, daß ich mir bloß jene Vereinigung von Sieben und      
  14 Fünf denke, und ich mag meinen Begriff von einer solchen möglichen      
  15 Summe noch so lange zergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf      
  16 nicht antreffen. Man muß über diese Begriffe hinausgehen, indem man      
  17 die Anschauung zu Hülfe nimmt, die einem von beiden correspondirt, etwa      
  18 seine fünf Finger oder (wie Segner in seiner Arithmetik) fünf Punkte,      
  19 und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen      
  20 Fünf zu dem Begriffe der Sieben hinzuthut. Denn ich nehme zuerst die      
  21 Zahl 7, und indem ich für den Begriff der 5 die Finger meiner Hand als      
  22 Anschauung zu Hülfe nehme, so thue ich die Einheiten, die ich vorher      
  23 zusammennahm, um die Zahl 5 auszumachen, nun an jenem meinem      
  24 Bilde nach und nach zur Zahl 7 und sehe so die Zahl 12 entspringen.      
  25 Daß 5 zu 7 hinzugethan werden sollten, habe ich zwar in dem Begriff      
  26 einer Summe = 7+5 gedacht, aber nicht, daß diese Summe der Zahl      
  27 12 gleich sei. Der arithmetische Satz ist also jederzeit synthetisch, welches      
  28 man desto deutlicher inne wird, wenn man etwas größere Zahlen nimmt,      
  29 da es denn klar einleuchtet, daß, wir möchten unsere Begriffe drehen      
  30 und wenden, wie wir wollen, wir, ohne die Anschauung zu Hülfe zu nehmen,      
  31 vermittelst der bloßen Zergliederung unserer Begriffe, die Summe      
  32 niemals finden könnten.      
           
     

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