Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 012 |
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01 | sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori | ||||||
02 | etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntniß erweitert | ||||||
03 | würde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher | ||||||
04 | einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser | ||||||
05 | fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem | ||||||
06 | Erkenntniß richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit | ||||||
07 | einer Erkenntniß derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, | ||||||
08 | ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiemit | ||||||
09 | eben so, als mit den ersten Gedanken des Copernicus bewandt, der, | ||||||
10 | nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort | ||||||
11 | wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, | ||||||
12 | versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer | ||||||
13 | sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik | ||||||
14 | kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es | ||||||
15 | auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit | ||||||
16 | der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man | ||||||
17 | a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als | ||||||
18 | Object der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, | ||||||
19 | so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. Weil ich aber bei | ||||||
20 | diesen Anschauungen, wenn sie Erkenntnisse werden sollen, nicht stehen | ||||||
21 | bleiben kann, sondern sie als Vorstellungen auf irgend etwas als Gegenstand | ||||||
22 | beziehen und diesen durch jene bestimmen muß, so kann ich entweder | ||||||
23 | annehmen, die Begriffe, wodurch ich diese Bestimmung zu Stande | ||||||
24 | bringe, richten sich auch nach dem Gegenstande, und dann bin ich wiederum | ||||||
25 | in derselben Verlegenheit wegen der Art, wie ich a priori hievon etwas | ||||||
26 | wissen könne; oder ich nehme an, die Gegenstände oder, welches einerlei | ||||||
27 | ist, die Erfahrung, in welcher sie allein (als gegebene Gegenstände) erkannt | ||||||
28 | werden, richte sich nach diesen Begriffen, so sehe ich sofort eine leichtere | ||||||
29 | Auskunft, weil Erfahrung selbst eine Erkenntnißart ist, die Verstand | ||||||
30 | erfordert, dessen Regel ich in mir, noch ehe mir Gegenstände gegeben | ||||||
31 | werden, mithin a priori voraussetzen muß, welche in Begriffen a priori | ||||||
32 | ausgedrückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfahrung | ||||||
33 | nothwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen. Was Gegenstände | ||||||
34 | betrifft, so fern sie bloß durch Vernunft und zwar nothwendig gedacht, | ||||||
35 | die aber (so wenigstens, wie die Vernunft sie denkt) gar nicht in | ||||||
36 | der Erfahrung gegeben werden können, so werden die Versuche sie zu denken | ||||||
37 | (denn denken müssen sie sich doch lassen) hernach einen herrlichen Probirstein | ||||||
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