Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 365

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sähen; imgleichen, daß Geistergesellschaften von einerlei innerem Zustande      
  02 einerlei Apparenz der Gegend und anderer daselbst befindlichen Dinge      
  03 hätten, die Veränderung ihres Zustandes aber sei mit dem Schein der      
  04 Veränderung des Orts verbunden. Weil nun jederzeit, wenn die Geister      
  05 den Menschenseelen ihre Gedanken mittheilen, diese mit der Apparenz materieller      
  06 Dinge verbunden sind, welche im Grunde nur kraft einer Beziehung      
  07 auf den geistigen Sinn, doch mit allem Schein der Wirklichkeit sich      
  08 demjenigen vormalen, der solche empfängt, so ist daraus der Vorrath der      
  09 wilden und unaussprechlich albernen Gestalten herzuleiten, welche unser      
  10 Schwärmer bei seinem täglichen Geisterumgange in aller Klarheit zu      
  11 sehen glaubt.      
           
  12 Ich habe schon angeführt, daß nach unserm Verfasser die mancherlei      
  13 Kräfte und Eigenschaften der Seele mit den ihrer Regierung untergeordneten      
  14 Organen des Körpers in Sympathie stehen. Der ganze äußere      
  15 Mensch correspondirt also dem ganzen innern Menschen, und wenn daher      
  16 ein merklicher geistiger Einfluß aus der unsichtbaren Welt eine oder andere      
  17 dieser seiner Seelenkräfte vorzüglich trifft, so empfindet er auch harmonisch      
  18 die apparente Gegenwart desselben an den Gliedmaßen seines      
  19 äußeren Menschen, die diesen correspondiren. Dahin bezieht er nun eine      
  20 große Mannigfaltigkeit von Empfindungen an seinem Körper, die jederzeit      
  21 mit der geistigen Beschauung verbunden sind, deren Ungereimtheit      
  22 aber zu groß ist, als daß ich es wagen dürfte nur eine einzige derselben      
  23 anzuführen.      
           
  24 Hieraus kann man sich nun, wofern man es der Mühe werth hält,      
  25 einen Begriff von der abenteuerlichsten und seltsamsten Einbildung      
  26 machen, in welche sich alle seine Träumereien vereinbaren. So wie nämlich      
  27 verschiedene Kräfte und Fähigkeiten diejenige Einheit ausmachen,      
  28 welche die Seele oder der innere Mensch ist, so machen auch verschiedene      
  29 Geister (deren Hauptcharaktere sich eben so auf einander beziehen, wie die      
  30 mancherlei Fähigkeiten eines Geistes untereinander) eine Societät aus,      
  31 welche die Apparenz eines großen Menschen an sich zeigt, und in welchem      
  32 Schattenbilde ein jeder Geist sich an demjenigen Orte und in den scheinbaren      
  33 Gliedmaßen sieht, die seiner eigenthümlichen Verrichtung in einem      
  34 solchen geistigen Körper gemäß sind. Alle Geistersocietäten aber zusammen      
  35 und die ganze Welt aller dieser unsichtbaren Wesen erscheint zuletzt      
  36 selbst wiederum in der Apparenz des größten Menschen. Eine ungeheure      
  37 und riesenmäßige Phantasie, zu welcher sich vielleicht eine alte kindische      
           
     

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