Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 362 |
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01 | beständige Verknüpfung mit der Geisterwelt empfängt. Er unterscheidet | ||||||
02 | daher an dem Menschen das äußere und innere Gedächtniß. Jenes hat | ||||||
03 | er als eine Person, die zu der sichtbaren Welt gehört, dieses aber kraft seines | ||||||
04 | Zusammenhanges mit der Geisterwelt. Darauf gründet sich auch der | ||||||
05 | Unterschied des äußeren und inneren Menschen, und sein eigener Vorzug | ||||||
06 | besteht darin, daß er schon in diesem Leben als eine Person sich in der | ||||||
07 | Gesellschaft der Geister sieht und von ihnen auch als eine solche erkannt | ||||||
08 | wird. In diesem innern Gedächtniß wird auch alles aufbehalten, was | ||||||
09 | aus dem äußeren verschwunden war, und es geht nichts von allen Vorstellungen | ||||||
10 | eines Menschen jemals verloren. Nach dem Tode ist die Erinnerung | ||||||
11 | alles desjenigen, was jemals in seine Seele kam und was ihm | ||||||
12 | selbst ehedem verborgen blieb, das vollständige Buch seines Lebens. | ||||||
13 | Die Gegenwart der Geister trifft zwar nur seinen innern Sinn. | ||||||
14 | Dieses erregt ihm aber die Apparenz derselben als außer ihm und zwar | ||||||
15 | unter einer menschlichen Figur. Die Geistersprache ist eine unmittelbare | ||||||
16 | Mittheilung der Ideen, sie ist aber jederzeit mit der Apparenz derjenigen | ||||||
17 | Sprache verbunden, die er sonst spricht, und wird vorgestellt als außer | ||||||
18 | ihm. Ein Geist liest in eines andern Geistes Gedächtniß die Vorstellungen, | ||||||
19 | die dieser darin mit Klarheit enthält. So sehen die Geister in | ||||||
20 | Schwedenbergen seine Vorstellungen, die er von dieser Welt hat, mit so | ||||||
21 | klarem Anschauen, daß sie sich dabei selbst hintergehen und sich öfters einbilden, | ||||||
22 | sie sehen unmittelbar die Sachen, welches doch unmöglich ist, denn | ||||||
23 | kein reiner Geist hat die mindeste Empfindung von der körperlichen Welt; | ||||||
24 | allein durch die Gemeinschaft mit andern Seelen lebender Menschen können | ||||||
25 | sie auch keine Vorstellung davon haben, weil ihr Innerstes nicht aufgethan | ||||||
26 | ist, d. i. ihr innerer Sinn gänzlich dunkele Vorstellungen enthält. | ||||||
27 | Daher ist Schwedenberg das rechte Orakel der Geister, welche eben so neugierig | ||||||
28 | sind in ihm den gegenwärtigen Zustand der Welt zu beschauen, als | ||||||
29 | er es ist in ihrem Gedächtniß wie in einem Spiegel die Wunder der | ||||||
30 | Geisterwelt zu betrachten. Obgleich diese Geister mit allen andern Seelen | ||||||
31 | lebender Menschen gleichfalls in der genauesten Verbindung stehen und | ||||||
32 | in dieselbe wirken oder von ihnen leiden, so wissen sie doch dieses eben so | ||||||
33 | wenig, als es die Menschen wissen, weil dieser ihr innerer Sinn, welcher | ||||||
34 | zu ihrer geistigen Persönlichkeit gehört, ganz dunkel ist. Es meinen also | ||||||
35 | die Geister: daß dasjenige, was aus dem Einflusse der Menschenseelen in | ||||||
36 | ihnen gewirkt worden, von ihnen allein gedacht sei, so wie auch die Menschen | ||||||
37 | in diesem Leben nicht anders glauben, als daß alle ihre Gedanken | ||||||
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