Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 340 |
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01 | Phantasie dem innern Zustande der Seele gemäß durch harmonische Bewegung | ||||||
02 | mehr zu verstärken, als gewöhnlicher Weise bei gesunden Menschen | ||||||
03 | geschieht und auch geschehen soll. Solche seltsame Personen würden | ||||||
04 | in gewissen Augenblicken mit der Apparenz mancher Gegenstände als | ||||||
05 | außer ihnen angefochten sein, welche sie für eine Gegenwart von geistigen | ||||||
06 | Naturen halten würden, die auf ihre körperliche Sinne fiele, obgleich hiebei | ||||||
07 | nur ein Blendwerk der Einbildung vorgeht, doch so, daß die Ursache | ||||||
08 | davon ein wahrhafter geistiger Einfluß ist, der nicht unmittelbar empfunden | ||||||
09 | werden kann, sondern sich nur durch verwandte Bilder der Phantasie, | ||||||
10 | welche den Schein der Empfindungen annehmen, zum Bewußtsein | ||||||
11 | offenbart. | ||||||
12 | Die Erziehungsbegriffe, oder auch mancherlei sonst eingeschlichene | ||||||
13 | Wahn würden hiebei ihre Rolle spielen, wo Verblendung mit Wahrheit | ||||||
14 | untermengt wird, und eine wirkliche geistige Empfindung zwar zum | ||||||
15 | Grunde liegt, die doch in Schattenbilder der sinnlichen Dinge umgeschaffen | ||||||
16 | worden. Man wird aber auch zugeben, daß die Eigenschaft auf solche | ||||||
17 | Weise die Eindrücke der Geisterwelt in diesem Leben zum klaren Anschauen | ||||||
18 | auszuwickeln schwerlich wozu nützen könne; weil dabei die geistige Empfindung | ||||||
19 | nothwendig so genau in das Hirngespenst der Einbildung verwebt | ||||||
20 | wird, daß es unmöglich sein muß in derselben das Wahre von den | ||||||
21 | groben Blendwerken, die es umgeben, zu unterscheiden. Imgleichen würde | ||||||
22 | ein solcher Zustand, da er ein verändertes Gleichgewicht in den Nerven | ||||||
23 | voraussetzt, welche sogar durch die Wirksamkeit der bloß geistig empfindenden | ||||||
24 | Seele in unnatürliche Bewegung versetzt werden, eine wirkliche | ||||||
25 | Krankheit anzeigen. Endlich würde es gar nicht befremdlich sein, an einem | ||||||
26 | Geisterseher zugleich einen Phantasten anzutreffen, zum wenigsten in Ansehung | ||||||
27 | der begleitenden Bilder von diesen seinen Erscheinungen, weil Vorstellungen, | ||||||
28 | die ihrer Natur nach fremd und mit denen im leiblichen Zustande | ||||||
29 | des Menschen unvereinbar sind, sich hervordrängen, und übelgepaarte | ||||||
30 | Bilder in die äußere Empfindung hereinziehen, wodurch wilde | ||||||
31 | Chimären und wunderliche Fratzen ausgeheckt werden, die in langem Geschleppe | ||||||
32 | den betrogenen Sinnen vorgaukeln, ob sie gleich einen wahren | ||||||
33 | geistigen Einfluß zum Grunde haben mögen. | ||||||
34 | Nunmehr kann man nicht verlegen sein, von den Gespenstererzählungen, | ||||||
35 | die den Philosophen so oft in den Weg kommen, imgleichen allerlei | ||||||
36 | Geistereinflüssen, von denen hie oder da die Rede geht, scheinbare Vernunftgründe | ||||||
37 | anzugeben. Abgeschiedene Seelen und reine Geister können | ||||||
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