Kant: AA II, M. Immanuel Kants Nachricht ... , Seite 311 |
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01 | Absichten wohl vor Augen hat und zugleich Anlaß giebt, neben | ||||||
02 | der Cultur der feineren und gelehrten Vernunft die Bildung des zwar gemeinen, | ||||||
03 | aber thätigen und gesunden Verstandes zu begreifen, jene für | ||||||
04 | das betrachtende, diese für das thätige und bürgerliche Leben. Wobei zugleich | ||||||
05 | die sehr nahe Verwandtschaft der Materien Anlaß giebt, bei der | ||||||
06 | Kritik der Vernunft einige Blicke auf die Kritik des Geschmacks, | ||||||
07 | d. i. die Ästhetik, zu werfen, davon die Regeln der einen jederzeit dazu | ||||||
08 | dienen, die der andern zu erläutern, und ihre Abstechung ein Mittel ist, | ||||||
09 | beide besser zu begreifen. | ||||||
10 | 3. Ethik. Die moralische Weltweisheit hat dieses besondere Schicksal, | ||||||
11 | daß sie noch eher wie die Metaphysik den Schein der Wissenschaft und | ||||||
12 | einiges Ansehen von Gründlichkeit annimmt, wenn gleich keine von beiden | ||||||
13 | bei ihr anzutreffen ist; wovon die Ursache darin liegt: daß die Unterscheidung | ||||||
14 | des Guten und Bösen in den Handlungen und das Urtheil über die | ||||||
15 | sittliche Rechtmäßigkeit gerade zu und ohne den Umschweif der Beweise | ||||||
16 | von dem menschlichen Herzen durch dasjenige, was man Sentiment nennt, | ||||||
17 | leicht und richtig erkannt werden kann; daher, weil die Frage mehrentheils | ||||||
18 | schon vor den Vernunftgründen entschieden ist, welches in der Metaphysik | ||||||
19 | sich nicht so verhält, kein Wunder ist, daß man sich nicht sonderlich | ||||||
20 | schwierig bezeigt, Gründe, die nur einigen Schein der Tüchtigkeit haben, | ||||||
21 | als tauglich durchgehen zu lassen. Um deswillen ist nichts gemeiner, als | ||||||
22 | der Titel eines Moralphilosophen und nichts seltener, als einen solchen | ||||||
23 | Namen zu verdienen. | ||||||
24 | Ich werde für jetzt die allgemeine praktische Weltweisheit und | ||||||
25 | die Tugendlehre, beide nach Baumgarten, vortragen. Die Versuche | ||||||
26 | des Shaftesbury, Hutcheson und Hume, welche, obzwar unvollendet | ||||||
27 | und mangelhaft, gleichwohl noch am weitesten in der Aufsuchung der ersten | ||||||
28 | Gründe aller Sittlichkeit gelangt sind, werden diejenige Präcision und | ||||||
29 | Ergänzung erhalten, die ihnen mangelt; und indem ich in der Tugendlehre | ||||||
30 | jederzeit dasjenige historisch und philosophisch erwäge, was geschieht, | ||||||
31 | ehe ich anzeige, was geschehen soll, so werde ich die Methode | ||||||
32 | deutlich machen, nach welcher man den Menschen studiren muß, nicht | ||||||
33 | allein denjenigen, der durch die veränderliche Gestalt, welche ihm sein zufälliger | ||||||
34 | Zustand eindrückt, entstellt und als ein solcher selbst von Philosophen | ||||||
35 | fast jederzeit verkannt worden; sondern die Natur des Menschen, | ||||||
36 | die immer bleibt, und deren eigenthümliche Stelle in der Schöpfung, damit | ||||||
37 | man wisse, welche Vollkommenheit ihm im Stande der rohen und | ||||||
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