Kant: AA II, M. Immanuel Kants Nachricht ... , Seite 307 |
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01 | was mathematisch ist, die Augenscheinlichkeit der Begriffe und die Unfehlbarkeit | ||||||
02 | der Demonstration etwas ausmachen, was in der That gegeben | ||||||
03 | und mithin vorräthig und gleichsam nur aufzunehmen ist: so ist es in | ||||||
04 | beiden möglich zu lernen, d. i. entweder in das Gedächtniß, oder den Verstand | ||||||
05 | dasjenige einzudrücken, was als eine schon fertige Disciplin uns | ||||||
06 | vorgelegt werden kann. Um also auch Philosophie zu lernen, müßte allererst | ||||||
07 | eine wirklich vorhanden sein. Man müßte ein Buch vorzeigen und | ||||||
08 | sagen können: sehet, hier ist Weisheit und zuverlässige Einsicht; lernet es | ||||||
09 | verstehen und fassen, bauet künftighin darauf, so seid ihr Philosophen. | ||||||
10 | Bis man mir nun ein solches Buch der Weltweisheit zeigen wird, worauf | ||||||
11 | ich mich berufen kann, wie etwa auf den Polyb, um einen Umstand der | ||||||
12 | Geschichte, oder auf den Euklides, um einen Satz der Größenlehre zu | ||||||
13 | erläutern: so erlaube man mir zu sagen: daß man des Zutrauens des gemeinen | ||||||
14 | Wesens mißbrauche, wenn man, anstatt die Verstandesfähigkeit | ||||||
15 | der anvertrauten Jugend zu erweitern und sie zur künftig reifern eigenen | ||||||
16 | Einsicht auszubilden, sie mit einer dem Vorgeben nach schon fertigen Weltweisheit | ||||||
17 | hintergeht, die ihnen zu gute von andern ausgedacht wäre, woraus | ||||||
18 | ein Blendwerk von Wissenschaft entspringt, das nur an einem gewissen | ||||||
19 | Orte und unter gewissen Leuten für ächte Münze gilt, allerwärts sonst | ||||||
20 | aber verrufen ist. Die eigenthümliche Methode des Unterrichts in der | ||||||
21 | Weltweisheit ist zetetisch, wie sie einige Alte nannten (von ζητειν) d. i. | ||||||
22 | forschend, und wird nur bei schon geübterer Vernunft in verschiedenen | ||||||
23 | Stücken dogmatisch, d. i. entschieden. Auch soll der philosophische | ||||||
24 | Verfasser, den man etwa bei der Unterweisung zum Grunde legt, nicht | ||||||
25 | wie das Urbild des Urtheils, sondern nur als eine Veranlassung selbst | ||||||
26 | über ihn, ja sogar wider ihn zu urtheilen angesehen werden, und die Methode | ||||||
27 | selbst nachzudenken und zu schließen ist es, deren Fertigkeit der | ||||||
28 | Lehrling eigentlich sucht, die ihm auch nur allein nützlich sein kann, und | ||||||
29 | wovon die etwa zugleich erworbene entschiedene Einsichten als zufällige | ||||||
30 | Folgen angesehen werden müssen, zu deren reichem Überflusse er nur die | ||||||
31 | fruchtbare Wurzel in sich zu pflanzen hat. | ||||||
32 | Vergleicht man hiemit das davon so sehr abweichende gemeine Verfahren, | ||||||
33 | so läßt sich verschiedenes begreifen, was sonst befremdlich in die | ||||||
34 | Augen fällt. Als z. E. warum es keine Art Gelehrsamkeit vom Handwerke | ||||||
35 | giebt, darin so viele Meister angetroffen werden als in der Philosophie, | ||||||
36 | und, da viele von denen, welche Geschichte, Rechtsgelahrtheit, Mathematik | ||||||
37 | u. d. m. gelernt haben, sich selbst bescheiden, daß sie gleichwohl noch nicht | ||||||
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