Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 278 |
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01 | Raume überhaupt. Allein er nimmt einen solchen Begriff als gegeben | ||||||
02 | nach seiner klaren und gemeinen Vorstellung an. Bisweilen werden ihm | ||||||
03 | philosophische Erklärungen aus andern Wissenschaften gegeben, vornehmlich | ||||||
04 | in der angewandten Mathematik, z. E. die Erklärung der Flüssigkeit. | ||||||
05 | Allein alsdann entspringt dergleichen Definition nicht in der Mathematik, | ||||||
06 | sondern wird daselbst nur gebraucht. Es ist das Geschäfte der Weltweisheit, | ||||||
07 | Begriffe, die als verworren gegeben sind, zu zergliedern, ausführlich | ||||||
08 | und bestimmt zu machen, der Mathematik aber, gegebene Begriffe von | ||||||
09 | Größen, die klar und sicher sind, zu verknüpfen und vergleichen, um zu | ||||||
10 | sehen, was hieraus gefolgert werden könne. | ||||||
11 | § 2. |
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12 | Die Mathematik betrachtet in ihren Auflösungen, Beweisen |
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13 | und Folgerungen das Allgemeine unter den Zeichen in concreto, |
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14 | die Weltweisheit das Allgemeine durch die Zeichen |
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15 | in abstracto. |
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16 | Da wir hier unsere Sätze nur als unmittelbare Folgerungen aus Erfahrungen | ||||||
17 | abhandeln, so berufe ich mich wegen des gegenwärtigen zuerst | ||||||
18 | auf die Arithmetik, sowohl die allgemeine von den unbestimmten Größen, | ||||||
19 | als diejenige von den Zahlen, wo das Verhältniß der Größe zur Einheit | ||||||
20 | bestimmt ist. In beiden werden zuerst anstatt der Sachen selbst ihre Zeichen | ||||||
21 | mit den besondern Bezeichnungen ihrer Vermehrung oder Verminderung, | ||||||
22 | ihrer Verhältnisse etc. gesetzt und hernach mit diesen Zeichen nach | ||||||
23 | leichten und sichern Regeln verfahren durch Versetzung, Verknüpfung oder | ||||||
24 | abziehen und mancherlei Veränderung, so daß die bezeichnete Sachen selbst | ||||||
25 | hiebei gänzlich aus den Gedanken gelassen werden, bis endlich beim Beschlusse | ||||||
26 | die Bedeutung der symbolischen Folgerung entziffert wird. Zweitens, | ||||||
27 | in der Geometrie, um z. E. die Eigenschaften aller Zirkel zu erkennen, | ||||||
28 | zeichnet man einen, in welchem man statt aller möglichen sich innerhalb | ||||||
29 | demselben schneidenden Linien zwei zieht. Von diesen beweiset man | ||||||
30 | die Verhältnisse und betrachtet in denselben die allgemeine Regel der Verhältnisse | ||||||
31 | der sich in allen Zirkeln durchkreuzenden Linien in concreto . | ||||||
32 | Vergleicht man hiemit das Verfahren der Weltweisheit, so ist es davon | ||||||
33 | gänzlich unterschieden. Die Zeichen der philosophischen Betrachtung | ||||||
34 | sind niemals etwas anders als Worte, die weder in ihrer Zusammensetzung | ||||||
35 | die Theilbegriffe, woraus die ganze Idee, welche das Wort andeutet, | ||||||
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