Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 241 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | sie alle diese Eigenschaften am Manne, und die Erhabenheit ihrer Seele | ||||||
02 | zeigt sich nur darin, daß sie diese edle Eigenschaften zu schätzen weiß, so | ||||||
03 | fern sie bei ihm anzutreffen sind. Wie würde es sonst wohl möglich sein, | ||||||
04 | daß so viel männliche Fratzengesichter, ob sie gleich verdienste besitzen | ||||||
05 | mögen, so artige und feine Frauen bekommen könnten! Dagegen ist der | ||||||
06 | Mann viel delicater in Ansehung der schönen Reize des Frauenzimmers. | ||||||
07 | Er ist durch die feine Gestalt desselben, die muntere Naivetät und die | ||||||
08 | reizende Freundlichkeit genugsam schadlos gehalten wegen des Mangels | ||||||
09 | von Büchergelehrsamkeit und wegen anderer Mängel, die er durch seine | ||||||
10 | eigene Talente ersetzen muß. Eitelkeit und Moden können wohl diesen | ||||||
11 | natürlichen Trieben eine falsche Richtung geben und aus mancher Mannsperson | ||||||
12 | einen süßen Herren, aus dem Frauenzimmer aber eine Pedantin | ||||||
13 | oder Amazone machen, allein die Natur sucht doch jederzeit zu ihrer | ||||||
14 | Ordnung zurückzuführen. Man kann daraus urtheilen, welche mächtige | ||||||
15 | Einflüsse die Geschlechterneigung vornehmlich auf das männliche Geschlecht | ||||||
16 | haben könnte, um es zu veredlen, wenn anstatt vieler trockenen Unterweisungen | ||||||
17 | das moralische Gefühl des Frauenzimmers zeitig entwickelt würde, | ||||||
18 | um dasjenige gehörig zu empfinden, was zu der Würde und den erhabenen | ||||||
19 | Eigenschaften des anderen Geschlechts gehört, und dadurch vorbereitet | ||||||
20 | würde, den läppischen Zieraffen mit Verachtung anzusehen und sich keinen | ||||||
21 | andern Eigenschaften als den Verdiensten zu ergeben. Es ist auch gewiß, | ||||||
22 | daß die Gewalt ihrer Reize dadurch überhaupt gewinnen würde; denn es | ||||||
23 | zeigt sich, daß die Bezauberung derselben mehrentheils nur auf edlere | ||||||
24 | Seelen wirke, die andere sind nicht fein genug, sie zu empfinden. Eben so | ||||||
25 | sagte der Dichter Simonides, als man ihm rieth vor den Thessaliern | ||||||
26 | seine schöne Gesänge hören zu lassen: Diese Kerle sind zu dumm dazu, | ||||||
27 | als daß sie von einem solchen Manne, wie ich bin, könnten | ||||||
28 | betrogen werden. Man hat es sonst schon als eine Wirkung des Umganges | ||||||
29 | mit dem schönen Geschlecht angesehen, daß die männliche Sitten | ||||||
30 | sanfter, ihr Betragen artiger und geschliffener und ihr Anstand zierlicher | ||||||
31 | geworden; allein dieses ist nur ein Vortheil in der Nebensache.*) Es liegt | ||||||
*) Dieser Vortheil selbst wird gar sehr gemindert durch die Beobachtung, welche man gemacht haben will, daß diejenige Mannspersonen, welche zu früh und zu häufig in solchen Gesellschaften eingeflochten sind, denen das Frauenzimmer den Ton giebt, gemeiniglich etwas läppisch werden und im männlichen Umgange langweilig oder auch verächtlich sind, weil sie den Geschmack an einer Unterhaltung verloren haben, [Seitenumbruch] die zwar munter, aber doch auch von wirklichem Gehalt, zwar scherzhaft, aber auch durch ernsthafte Gespräche nützlich sein muß. | |||||||
[ Seite 240 ] [ Seite 242 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |