Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 210

     
           
 

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  01 Einöden, wie die ungeheure Wüste Schamo in der Tartarei, jederzeit      
  02 Anlaß gegeben haben fürchterliche Schatten, Kobolde und Gespensterlarven      
  03 dahin zu versetzen.      
           
  04 Das Erhabene muß jederzeit groß, das Schöne kann auch klein sein.      
  05 Das Erhabene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und geziert sein.      
  06 Eine große Höhe ist eben so wohl erhaben als eine große Tiefe; allein      
  07 diese ist mit der Empfindung des Schauderns begleitet, jene mit der Bewunderung;      
  08 daher diese Empfindung schreckhaft erhaben und jene edel      
  09 sein kann. Der Anblick einer ägyptischen Pyramiden rührt, wie Hasselquist      
  10 berichtet, weit mehr, als man sich aus aller Beschreibung es vorstellen      
  11 kann, aber ihr Bau ist einfältig und edel. Die Peterskirche in Rom      
  12 ist prächtig. Weil auf diesen Entwurf, der groß und einfältig ist, Schönheit,      
  13 z. E. Gold, mosaische Arbeit etc. etc. so verbreitet ist, daß die Empfindung      
  14 des Erhabenen doch am meisten hindurch wirkt, so heißt der Gegenstand      
  15 prächtig. Ein Arsenal muß edel und einfältig, ein Residenzschlo      
  16 prächtig und ein Lustpalast schön und geziert sein.      
           
  17 Eine lange Dauer ist erhaben. Ist sie von vergangener Zeit, so ist      
  18 sie edel; wird sie in einer unabsehlichen Zukunft voraus gesehen, so hat      
  19 sie etwas vom Schreckhaften an sich. Ein Gebäude aus dem entferntesten      
  20 Alterthum ist ehrwürdig. Hallers Beschreibung von der künftigen Ewigkeit      
  21 flößt ein sanftes Grausen und von der vergangenen starre Bewunderung      
  22 ein.      
           
           
     

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