Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 154

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 dieses oberste Wesen enthält den letzten Grund aller dieser Möglichkeit,      
  02 in welcher also niemals etwas anders, als was mit ihrem Ursprunge harmonirt,      
  03 kann anzutreffen sein.      
           
  04 Es ist auch dieser über alles Mögliche und Wirkliche erweiterte Begriff      
  05 der göttlichen Allgenugsamkeit ein viel richtigerer Ausdruck, die      
  06 größte Vollkommenheit dieses Wesens zu bezeichnen, als der des Unendlichen,      
  07 dessen man sich gemeiniglich bedient. Denn ob man diesen letztern      
  08 zwar auslegen kann, wie man will, so ist er seiner eigentlichen Bedeutung      
  09 nach doch offenbar mathematisch. Er bezeichnet das Verhältniß einer      
  10 Größe zu einer andern als dem Maße, welches Verhältniß größer ist als      
  11 alle Zahl. Daher in dem eigentlichen Wortverstande die göttliche Erkenntniß      
  12 unendlich heißen würde, in so fern sie vergleichungsweise gegen irgend      
  13 eine angebliche andere Erkenntniß ein Verhältniß hat, welches alle mögliche      
  14 Zahl übersteigt. Da nun eine solche Vergleichung göttliche Bestimmungen      
  15 mit denen der erschaffenen Dinge in eine Gleichartigkeit, die man      
  16 nicht wohl behaupten kann, versetzt und überdem das, was man dadurch      
  17 will, nämlich den unverringerten Besitz von aller Vollkommenheit, nicht      
  18 gerade zu verstehen giebt, so findet sich dagegen alles, was man hiebei zu      
  19 denken vermag, in dem Ausdrucke der Allgenugsamkeit beisammen. Die      
  20 Benennung der Unendlichkeit ist gleichwohl schön und eigentlich ästhetisch.      
  21 Die Erweiterung über alle Zahlbegriffe rührt und setzt die Seele durch      
  22 eine gewisse Verlegenheit in Erstaunen. Dagegen ist der Ausdruck, den      
  23 wir empfehlen, der logischen Richtigkeit mehr angemessen.      
           
           
     

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