Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 136

     
           
 

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  01 werden, weil im letztern Fall mehr nach der Ordnung der Natur erklärt      
  02 wird; es müßte denn sein, daß dieser ihre Unzulänglichkeit in Ansehung      
  03 dessen klar erwiesen werden könnte. Es gehört aber auch zu diesem Grade      
  04 der philosophischen Erklärungsart eine jede Ableitung einer Anstalt in      
  05 der Welt aus künstlichen und um einer Absicht willen errichteten Gesetzen      
  06 überhaupt und nicht blos im Thier= und Pflanzenreiche;*) z. E. wenn      
  07 man vom Schnee und den Nordscheinen so redet, als ob die Ordnung der      
  08 Natur, die beide hervorbringt, um des Nutzens des Grönländers oder      
  09 Lappen willen (damit er in den langen Nächten nicht ganz im Finstern      
  10 sei) eingeführt wäre, obgleich es noch immer zu vermuthen ist, daß dieses      
  11 eine wohlpassende Nebenfolge mit nothwendiger Einheit aus andern Gesetzen      
  12 sei. Man ist fast jederzeit in Gefahr dieses Fehlers, wenn man      
  13 einige Nutzen der Menschen zum Grunde einer besondern göttlichen Veranstaltung      
  14 angiebt, z. E. daß Wald und Feld mehrentheils mit grüner      
  15 Farbe bedeckt ist, weil diese unter allen Farben die mittlere Stärke hat,      
  16 um das Auge in mäßiger Übung zu erhalten. Hiegegen kann man einwenden,      
  17 daß der Bewohner der Davisstraße vom Schnee fast blind wird      
  18 und seine Zuflucht zu den Schneebrillen nehmen muß. Es ist nicht tadelhaft,      
  19 daß man die nützliche Folgen aufsucht und sie einem gütigen Urheber      
  20 beimißt, sondern daß die Ordnung der Natur, darnach sie geschehen,      
  21 als künstlich und willkürlich mit andern verbunden vorgestellt wird, da sie      
  22 doch vielleicht mit andern in nothwendiger Einheit steht.      
           
  23 Fünftens. Am mehrsten enthält die Methode über die vollkommene      
  24 Anstalten der Natur zu urtheilen den Geist wahrer Weltweisheit, wenn      
  25 sie, jederzeit bereit, auch übernatürliche Begebenheiten zuzulassen, imgleichen      
  26 die wahrhaftig künstliche Anordnungen der Natur nicht zu verkennen,      
  27 hauptsächlich die Abzielung auf Vortheile und alle Wohlgereimtheit      
  28 sich nicht hindern läßt, die Gründe davon in nothwendigen allgemeinen      
  29 Gesetzen aufzusuchen, mit großer Achtsamkeit auf die Erhaltung der Einheit      
  30 und mit einer vernünftigen Abneigung, die Zahl der Naturursachen      
  31 um derentwillen zu vervielfältigen. Wenn hiezu noch die Aufmerksamkeit      
           
    *) Ich habe in der zweiten Nummer der dritten Betrachtung dieses Abschnittes unter den Beispielen der künstlichen Naturordnung blos die aus dem Pflanzen= und Thierreiche angeführt. Es ist aber zu merken, daß eine jede Anordnung eines Gesetzes um eines besondern Nutzens willen, darum weil sie hiedurch von der nothwendigen Einheit mit andern Naturgesetzen ausgenommen wird, künstlich sei, wie aus einigen hier erwähnten Beispielen zu ersehen.      
           
     

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