Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 122

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wirkungsgesetzen der Natur zufällig und durch künstliche Fügung außerordentlich      
  02 fest gesetzt worden. Es kann bei dieser Art zu denken sich öfters      
  03 zutragen, daß die Zwecke der Gesetze, die man sich einbildet, unrichtig sind,      
  04 und dann hat man außer diesem Irrthume noch den Schaden, daß man      
  05 die wirkende Ursachen vorbeigegangen ist und sich unmittelbar an eine Absicht,      
  06 die nur erdichtet ist, gehalten hat. Süßmilch hatte ehedem vermeint,      
  07 den Grund, warum mehr Knäbchen als Mägdchen geboren werden, in      
  08 dieser Absicht der Vorsehung zu finden, damit durch die größere Zahl      
  09 derer vom Mannsgeschlechte der Verlust ergänzt werde, den dieses Geschlecht      
  10 durch Krieg und gefährlichere Arten des Gewerbes vor dem andern      
  11 erleidet. Allein durch spätere Beobachtungen wurde eben dieser sorgfältige      
  12 und vernünftige Mann belehrt: daß dieser Überschuß der Knäbchen in den      
  13 Jahren der Kindheit durch den Tod so weggenommen werde, daß noch      
  14 eine geringere Zahl männlichen als die des weiblichen Geschlechts in die      
  15 Jahre gelangen, wo die vorher erwähnte Ursachen allererst Gründe des      
  16 Verlusts enthalten können. Man hat Ursache zu glauben, daß diese Merkwürdigkeit      
  17 ein Fall sei, der unter einer viel allgemeinern Regel stehen      
  18 mag, nämlich das der stärkere Theil der Menschenarten auch einen größeren      
  19 Antheil an der Zeugungsthätigkeit habe, um in den beiderseitigen      
  20 Producten seine eigene Art überwiegend zu machen, daß aber dagegen,      
  21 weil mehr dazu gehört, daß etwas, welches die Grundlage zu größerer      
  22 Vollkommenheit hat, auch in der Ausbildung alle zu Erreichung derselben      
  23 gehörige Umstände antreffe, eine größere Anzahl derer von minder vollkommener      
  24 Art den Grad der Vollständigkeit erreichen werde, als derjenigen,      
  25 zu deren Vollständigkeit mehr Zusammentreffung von Gründen      
  26 erfordert wird. Es mag aber mit dieser Regel eine Beschaffenheit haben,      
  27 welche es wolle, so kann man hiebei wenigstens die Anmerkung machen:      
  28 daß es die Erweiterung der philosophischen Einsicht hindere, sich an die      
  29 moralische Gründe, das ist, an die Erläuterung aus Zwecken, zu wenden,      
  30 da wo es noch zu vermuthen ist, daß physische Gründe durch eine Verknüpfung      
  31 mit nothwendigen allgemeineren Gesetzen die Folge bestimmen.      
           
  32 3. Diese Methode kann nur dazu dienen, einen Urheber der Verknüpfungen      
  33 und künstlichen Zusammenfügungen der Welt, aber nicht der      
  34 Materie selbst und den Ursprung der Bestandtheile des Universum zu beweisen.      
  35 Dieser beträchtliche Fehler muß alle diejenige, die sich ihrer allein      
  36 bedienen, in Gefahr desjenigen Irrthums lassen, den man den feineren      
  37 Atheismus nennt, und nach welchem Gott im eigentlichen Verstande als      
           
     

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