Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 110

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 demjenigen Wesen an sich, in welchem alles mit den Eigenschaften der      
  02 Weisheit und Güte zusammenstimmt. Man kann von ihnen Übereinstimmung      
  03 und schöne Verknüpfung erwarten und eine nothwendige Einheit      
  04 in den mancherlei vortheilhaften Beziehungen, die ein einziger Grund      
  05 zu viel anständigen Gesetzen hat. Es wird nicht nöthig sein, daß daselbst,      
  06 wo die Natur nach nothwendigen Gesetzen wirkt, unmittelbare göttliche      
  07 Ausbesserungen dazwischen kommen, weil, in so fern die Folgen nach der      
  08 Ordnung der Natur nothwendig sind, nimmermehr selbst nach den allgemeinsten      
  09 Gesetzen sich was Gott Mißfälliges eräugnen kann. Denn wie      
  10 sollten doch die Folgen der Dinge, deren zufällige Verknüpfung von dem      
  11 Willen Gottes abhängt, ihre wesentliche Beziehungen aber als die Gründe      
  12 des Nothwendigen in der Naturordnung von demjenigen in Gott herrühren,      
  13 was mit seinen Eigenschaften überhaupt in der größten Harmonie steht,      
  14 wie können diese, sage ich, seinem Willen entgegen sein? Und so müssen      
  15 alle die Veränderungen der Welt, die mechanisch, mithin aus den Bewegungsgesetzen      
  16 nothwendig sind, jederzeit darum gut sein, weil sie natürlicher      
  17 Weise nothwendig sind, und es ist zu erwarten, daß die Folge unverbesserlich      
  18 sein werde, so bald sie nach der Ordnung der Natur unausbleiblich      
  19 ist.*) Ich bemerke aber, damit aller Mißverstand verhütet      
  20 werde: daß die Veränderungen in der Welt entweder aus der ersten Anordnung      
  21 des Universum und den allgemeinen und besondern Gesetzen der      
  22 Natur nothwendig sind, dergleichen alles dasjenige ist, was in der körperlichen      
  23 Welt mechanisch vorgeht, oder daß sie gleichwohl bei allem diesem      
  24 eine nicht genugsam begriffene Zufälligkeit haben, wie die Handlungen      
  25 aus der Freiheit, deren Natur nicht gehörig eingesehen wird. Die letztere      
  26 Art der Weltveränderungen, in so fern sie scheinen eine Ungebundenheit      
  27 in Ansehung bestimmender Gründe und nothwendiger Gesetze an sich zu      
  28 haben, enthalten in so weit eine Möglichkeit in sich von der allgemeinen      
           
    *) Wenn es ein nothwendiger Ausgang der Natur ist, wie Newton vermeint, daß ein Weltsystem, wie dasjenige von unserer Sonne, endlich zum völligen Stillstand und allgemeiner Ruhe gelange, so würde ich nicht mit ihm hinzusetzen: da es nöthig sei, daß Gott es durch ein Wunder wieder herstelle. Denn weil es ein Erfolg ist, darauf die Natur nach ihren wesentlichsten Gesetzen nothwendiger Weise bestimmt ist, so vermuthe ich hieraus, daß er auch gut sei. Es darf uns dieses nicht als ein bedauernswürdiger Verlust vorkommen, denn wir wissen nicht, welche Unermeßlichkeit die sich immerfort in andern Himmelsgegenden bildende Natur habe, um durch große Fruchtbarkeit diesen Abgang des Universum anderwärts reichlich zu ersetzen.      
           
     

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