Kant: AA II, Die falsche Spitzfindigkeit der ... , Seite 057

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 eben so betroffen, da er gewahr ward, daß ein vernünftiger Sinn herauskam,      
  02 als einer, der ein Anagramm im namen findet. Es war eben so      
  03 kindisch sich über das eine wie über das andre zu erfreuen, vornehmlich da      
  04 man darüber vergaß, daß man nichts Neues in Ansehung der Deutlichkeit,      
  05 sondern nur eine Vermehrung der Undeutlichkeit aufbrächte. Allein es ist      
  06 einmal das Loos des menschlichen Verstandes so bewandt; entweder er ist      
  07 grüblerisch und geräth auf Fratzen, oder er hascht verwegen nach zu großen      
  08 Gegenständen und bauet Luftschlösser. Von dem großen Haufen der Denker      
  09 wählt der eine die Zahl 666, der andere den Ursprung der Thiere und      
  10 Pflanzen, oder die Geheimnisse der Vorsehung. Der Irrthum, darin beide      
  11 gerathen, ist von sehr verschiedenem Geschmack, so wie die Köpfe verschieden      
  12 sind.      
           
  13 Die wissenswürdige Dinge häufen sich zu unsern Zeiten. Bald wird      
  14 unsere Fähigkeit zu schwach und unsere Lebenszeit zu kurz sein, nur den      
  15 nützlichsten Theil daraus zu fassen. Es bieten sich Reichthümer im Überflusse      
  16 dar, welche ein zu nehmen wir manchen unnützen Plunder wieder wegwerfen      
  17 müssen. Es wäre besser gewesen, sich niemals damit zu belästigen.      
           
  18 Ich würde mir zu sehr schmeicheln, wenn ich glaubte, daß die Arbeit      
  19 von einigen Stunden vermögend sein werde, den Kolossen umzustürzen, der      
  20 sein Haupt in die Wolken des Alterthums verbirgt und dessen Füße von      
  21 Thon sind. Meine Absicht ist nur, Rechenschaft zu geben, weswegen ich in      
  22 dem logischen Vortrage, in welchem ich nicht alles meiner Einsicht gemäß      
  23 einrichten kann, sondern manches dem herrschenden Geschmack zu Gefallen      
  24 thun muß, in diesen Materien nur kurz sein werde, um die Zeit, die ich      
  25 dabei gewinne, zur wirklichen Erweiterung nützlicher Einsichten zu verwenden.      
           
  27 Es giebt noch eine gewisse andere Brauchbarkeit der Syllogistik, nämlich      
  28 vermittelst ihrer in einem gelehrten Wortwechsel dem Unbehutsamen      
  29 den Rang abzulaufen. Da dieses aber zur Athletik der Gelehrten gehört,      
  30 einer Kunst, die sonst wohl sehr nützlich sein mag, nur daß sie nicht viel      
  31 zum Vortheil der Wahrheit beiträgt, so übergehe ich sie hier mit Stillschweigen.      
           
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§ 6.
     
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Schlußbetrachtung.
     
           
  35 Wir sind demnach belehrt, daß die oberste Regeln aller Vernunftschlüsse      
  36 unmittelbar auf diejenige Ordnung der Begriffe führen, die man      
           
     

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