Kant: AA II, M. Immanuel Kants Neuer ... , Seite 022

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 eine sehr schöne und richtige Regel zum Urtheilen, sie thut aber zu gegenwärtigem      
  02 Vorwurfe nichts. Im physischen Verstande würde sie nach      
  03 Leibnizens Meinung also lauten: Ein Körper theilt dem andern keine      
  04 Kraft auf einmal mit, sondern so, daß er durch alle unendlich kleine      
  05 Zwischengrade von der Ruhe an bis zur bestimmten Geschwindigkeit in      
  06 ihn seine Kraft überträgt. Nun vernehme man, wie alle diejenige, die die      
  07 Gesetze des Stoßes nach den angenommenen Begriffen der Bewegung erklären      
  08 wollen, dieser Leibnizschen Regel sich durchaus bedienen müssen.      
  09 Warum bringt ein völlig harter Körper in einem andern gleichartigen und      
  10 gleichen nicht seine ganze Kraft durch den Stoß, warum nur immer die      
  11 Hälfte, wie dieses aus der Statik bekannt ist? Man sagt, es geschehe, weil      
  12 der stoßende Körper so lange den in seinem Wege liegenden drückt und      
  13 treibt, bis beide gleiche Geschwindigkeit, nämlich, wenn beide Massen gleich      
  14 sind, bis jeglicher die Hälfte von der Geschwindigkeit des stoßenden hat,      
  15 denn alsdann flieht der gestoßene Körper alle fernere Handlung des      
  16 stoßenden. Allein setzt man hiebei nicht voraus: daß alle Wirkung des      
  17 anlaufenden in den ruhenden nach und nach vermittelst einer Folge von      
  18 unendlich vielen kleinen Momenten der Drückung geschehe? Denn wirkte      
  19 jener mit seiner ganzen Kraft auf einmal, so würde er seine ganze Bewegung      
  20 diesem ertheilen und selbst in Ruhe bleiben, welches wider das      
  21 Gesetz des Stoßes vollkommen harter Körper streitet. Der ruhende Körper      
  22 liegt ja der ganzen Bewegung des stoßenden im Wege; wenn dieser also      
  23 mit seiner ganzen Kraft auf einmal wirken kann, so wird er es gewiß      
  24 thun, und was von der ganzen Kraft gilt, das gilt auch von der Hälfte,      
  25 dem Viertheil etc. derselben; also wird er mit gar keiner endlichen Kraft      
  26 auf einmal wirken, sondern nur durch alle unendlich kleine Momente nach      
  27 und nach, welches das Gesetz der Continuität besagt.      
           
  28 Da wir hieraus sehen, daß man das Gesetz der Continuität durchaus      
  29 annehmen müsse, wenn man sich nicht des gemeinen Begriffes von      
  30 der Bewegung und Ruhe entladen will, so will ich nur kürzlich zeigen,      
  31 warum dennoch die berühmtesten Naturkündiger dasselbe nicht einmal als      
  32 eine Hypothese wollen gelten lassen; denn für etwas Besseres kann man      
  33 es nimmer ausgeben, weil man es nicht beweisen kann.      
           
           
     

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