Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 459 |
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01 | weiter ausdehnen will, so kann man noch dazu setzen: daß die westliche | ||||||
02 | Küsten jederzeit weit mehr Anfälle davon als die östlichen erlitten haben. | ||||||
03 | In Italien, in Portugal, in Südamerika, ja selbst neulich in Irland hat | ||||||
04 | die Erfahrung diese Übereinstimmung bestätigt. Peru, welches an dem | ||||||
05 | westlichen Seeufer der neuen Welt liegt, hat fast tägliche Erschütterungen, | ||||||
06 | da indessen Brasilien, welches den Ocean gegen Osten hat, nichts davon | ||||||
07 | verspürt. Wenn man von dieser seltsamen Analogie einige Ursachen muthmaßen | ||||||
08 | will, so kann man es wohl einem Gautier, einem Maler, verzeihen, | ||||||
09 | wenn er die Ursache aller Erdbeben in den Sonnenstrahlen, der Qülle | ||||||
10 | seiner Farben und seiner Kunst, sucht und sich einbildet, eben dieselbe | ||||||
11 | treiben auch unsere große Kugel von Abend gegen Morgen herum, indem | ||||||
12 | sie an die westliche Küsten stärker anschlagen, und eben dadurch würden | ||||||
13 | diese Küsten mit so vielen Erschütterungen beunruhigt. Allein in einer | ||||||
14 | gesunden Naturwissenschaft verdient ein solcher Einfall kaum die Widerlegung. | ||||||
15 | Mir scheint der Grund dieses Gesetzes mit einem andern in Verbindung | ||||||
16 | zu stehen, wovon man noch zur Zeit keine genugsame Erklärung | ||||||
17 | gegeben hat: daß nämlich die westliche und südliche Küsten fast aller Länder | ||||||
18 | steiler abschüssig sind, als die östliche und nordliche, welches sowohl | ||||||
19 | durch den Anblick der Karte als durch die Nachrichten des Dampiers, der | ||||||
20 | sie auf allen seinen Seereisen fast allgemein befunden hat, bestätigt wird. | ||||||
21 | Wenn man die Beugungen des festen Landes von den Einsinkungen herleitet, | ||||||
22 | so müssen in den Gegenden der größten Abschießigkeit tiefere und | ||||||
23 | mehr Höhlen anzutreffen sein, als wo die Erdrinde nur einen gemäßigten | ||||||
24 | Abhang hat. Dieses aber hat mit den Erderschütterungen, wie wir oben | ||||||
25 | gesehen haben, einen natürlichen Zusammenhang. | ||||||
26 | Schlußbetrachtung. |
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27 | Der Anblick so vieler Elenden, als die letztere Katastrophe unter unsern | ||||||
28 | Mitbürgern gemacht hat, soll die Menschenliebe rege machen und uns | ||||||
29 | einen Theil des Unglücks empfinden lassen, welches sie mit solcher Härte | ||||||
30 | betroffen hat. Man verstößt aber gar sehr dawider, wenn man dergleichen | ||||||
31 | Schicksale jederzeit als verhängte Strafgerichte ansieht, die die verheerte | ||||||
32 | Städte um ihrer Übelthaten willen betreffen, und wenn wir diese Unglückselige | ||||||
33 | als das Ziel der Rache Gottes betrachten, über die seine Gerechtigkeit | ||||||
34 | alle ihre Zornschalen ausgießt. Diese Art des Urtheils ist ein sträflicher | ||||||
35 | Vorwitz, der sich anmaßt, die Absichten der göttlichen Rathschlüsse | ||||||
36 | einzusehen und nach seinen Einsichten auszulegen. | ||||||
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